Aufstand in Usbekistan endet blutig

Das Militär soll den Aufruhr im Osten des Landes gewaltsam niedergeschlagen haben. Wenige Bewaffnete und tausende Demonstranten hatten das Zentrum von Andischan übernommen, zuvor wurden 2.000 oppositionelle Islamisten befreit

AUS TASCHKENT PETER BÖHM

Das usbekische Militär hat gestern Abend nach Angaben von Augenzeugen in der ostusbekischen Stadt Andischan einen Aufstand blutig niedergeschlagen. Aus gepanzerten Fahrzeugen hätten Soldaten in die Menge gefeuert, berichteten übereinstimmend eine Reporterin aus Andischan und eine Internetagentur. Schätzungsweise 50 Menschen seien ums Leben gekommen. Nach Augenzeugenberichten hatte bereits am Nachmittag die Armee die Lage in der 300.000-Einwohner-Stadt im Ferghana-Tal wieder weitgehend unter Kontrolle.

Mehrere tausend Demonstranten hatten zuvor den zentralen Platz von Andischan besetzt, nachdem rund 2.000 Gefangene in der Nacht gewaltsam befreit worden waren. In zwei Gebäuden hielten bewaffnete Aufständische zudem 15 Sicherheitskräfte als Geiseln gefangen – auf diese Gebäude soll sich dann der blutige Militäreinsatz konzentriert haben.

Präsident Islam Karimow war am Morgen nach Andischan geflogen, um über ein unblutiges Ende des Konfliktes zu verhandeln. Laut Regierung wurden bereits bei den Gefechten in der Nacht zu gestern 9 Menschen getötet und über 30 verletzt. Eine Gruppe Aufständischer hatte kurz vor Mitternacht eine Kaserne gestürmt und zahlreiche automatische Gewehre erbeutet. Kurz darauf griffen die Aufständischen das Gefängnis der Stadt an, befreiten bis zu 2.000 Gefangene und besetzten das zentrale Verwaltungsgebäude der Stadt.

Aus Angst vor einem Übergreifen der Unruhen schlossen gestern Kirgisien und Kasachstan ihre Grenzen zu Usbekistan. Dort wurden die Übertragungen mehrerer ausländischer Fernsehsender unterbrochen. Auf dem Kanal des US-Senders CNN liefen Filme über usbekische Kultur. Musikvideos ersetzten die Nachrichten des russischen NTV. Das usbekische Fernsehen berichtete erst am späten Vormittag von dem Aufstand.

Hintergrund der Revolte ist offenbar ein zurzeit in Andischan stattfindendes Gerichtsverfahren gegen 23 ortsansässige Geschäftsleute. Die Staatsanwaltschaft nennt sie nach dem religiösen Aktivisten Akram Juldaschew „Akramisten“ und wirft ihnen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vor. Am Mittwoch und Donnerstag hatten mehrere tausend Menschen, unter ihnen vor allem Verwandte und Angestellte der 23 Geschäftsleute, friedlich gegen das Verfahren demonstriert. Sie bestreiten nicht, dass die Angeklagten Anhänger Juldaschews seien. Doch habe die „Birodar“-Bruderschaft genannte Gruppe der Unternehmer allein friedliche Ziele, wie der Vater eines Anklagten schon im April der Lobbygruppe für Religionsfreiheit, „Forum 18“, berichtete.

Der frühere Mathematiklehrer Juldaschew veröffentlichte Anfang der 90er-Jahre ein islamisches Pamphlet. Bis Mitte der 90er-Jahre war er Mitglied der Untergrundorganisation Hisb-ut Tahrir, die die Einrichtung eines Kalifats mit friedlichen Mitteln zum Ziel hat. Später gründete er seine eigene Gruppe. Nach mehreren Bombenanschlägen in der Hauptstadt Taschkent 1999 wurde Juldaschew festgenommen und sitzt seitdem in Haft. Schakirow betonte, dass die Geschäftsleute ihre Betriebe zwar nach islamischen Grundsätzen geführt hätten, aber keine politischen Ambitionen hätten. Das bestätigen Menschenrechtsgruppen.

Das fruchtbare, dicht besiedelte Ferghana-Tal gilt als religiös konservativste Region Usbekistans und als potenzielle Hochburg des islamischen Fundamentalismus in Zentralasien. 1999, 2000 und 2001 versuchte die damals mit dem afghanischen Taliban-Regime verbundene Islamische Bewegung Usbekistans, mit Guerillaangriffen ins Tal vorzustoßen. 2004 machte die usbekische Regierung die Bewegung für Selbstmordanschläge auf Polizeistellen und Botschaften in Buchara und Taschkent verantwortlich. In späteren Prozessen sagten die Angeklagten aus, in Südwasiristan ausgebildet worden zu sein, das als Rückzugsgebiet von al-Qaida gilt.

Bisher deutet aber nichts darauf hin, dass der jetzige Aufstand in Andischan nicht mehr oder weniger spontan und lokal organisiert ist. Vielmehr scheint die von Menschenrechtsgruppen kritisierte Politik der Regierung, außerhalb der staatlichen Strukturen organisierte Muslime willkürlich festzunehmen, die Situation verschärft zu haben. Die Unzufriedenheit ist groß. Seit den friedlichen Revolutionen in Georgien und der Ukraine hat die usbekische Regierung die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen beschränkt und die Repression verstärkt. Bei den Wahlen im Dezember waren nur Regierungsparteien zugelassen.