TANZ DEN LUKASCHENKO
: Wo zum Gauck?

Stoisch gehen wir am Schöneberger Ententeich auf und ab

Vollmundig verspreche ich meinem besten Freund, ich könnte ihn vor die Tür des nächsten Bundespräsidenten führen. Da unser monatlicher Spaziergang schon seit Monaten überfällig ist, fragt Heiner nur, wo und wann. Ich gebe die Details durch, er nickt hörbar am Hörer.

Immer habe ich mich gefragt, warum am Bahnhof Schöneberg so viele Menschen in den Tod springen. Seit ich dort zwischen Taubenschiss, verrosteten Gleisen und platt getretenen Kaugummis auf Heiner wartete, frage ich mich das nicht mehr. Glaubt man den virtuellen Annalen der berlin-brandenburgischen Eisenbahnfreaks, stand dort mal ein herrschaftlicher Klinkerbau. Heiner trifft eine Ringbahn später ein und ist schlecht gelaunt. Auf dem Weg hierher kam er durch mehrere Schauer. Ich klappe noch in der Station einen übergroßen Regenschirm auf und simuliere den Präsidenten-Pagen. Heiner schmunzelt. Ich kenne dich und deine Flunkereien schon seit Jahren, sagt Heiner, und ich wäre heute am liebsten gar nicht gekommen – warum soll man bei Regen spazieren gehen. Aber du, sagt Heiner, der Gauck, der interessiert mich schon. Man hört ja allerlei.

Schnell haben wir die dröhnende Einöde des Innsbrucker Platzes hinter uns gelassen und tippeln durch gründerzeitliche Gefilde. Der Mittelstreifen ist sogar begrünt, merke ich an. Da bricht ein violetter Krokus durch die Krume und einer der drei Friseurläden, die du da hinten siehst, ist ganz sicher der Stammfriseur von Gauck.

Heiner nickt wieder. Ich habe das Gefühl, er will mir die Illusion lassen, ich sei ein Nachbar des designierten Bundespräsidenten. Stoisch gehen wir am Schöneberger Ententeich auf und ab. Es wird Nachmittag, es wird Abend, Gauck taucht nicht auf – nicht mal sein famoser Taxifahrer. Irgendwann raunt Heiner zynisch: Tanz den Lukaschenko.

TIMO BERGER