„Es geht nicht nur ums Geld“

TAZ-Serie zur Wahl Teil II. Der Dortmunder Unternehmer Thorsten Schumacher hat keine Zeit für alte Rezepte. Über Müntefering ärgert er sich, denn er will, dass die Menschen selbst mehr Verantwortung übernehmen. Statt künstlicher Beatmung sterbender Branchen will er Dinosaurier sterben lassen

„Widerlich, was der Müntefering da mit seiner Kapitalismusdebatte abgezogen hat“ „Ich fühl‘ mich persönlich angegriffen, ich seh‘ schließlich meine soziale Verantwortung“

Von MIRIAM BUNJES

Thorsten Schumacher hat keine Zeit für sowas. Die Situation da draußen ist ernst und breitet sich heute auch rapide im Erdgeschoss aus. Luftballons wehen am Eingang, zwei Menschen in orangefarbenen Ordnerwesten verscheuchen Parkplatz suchende Studierende in ihren rostenden Golfs. „Ich glaub‘, da hinten kommt er“, sagt einer und zeigt die Straße hinauf. „Er“ ist Landeschef Peer Steinbrück. In wenigen Minuten wird er den 25.000 Quadratmeter großen Betonklotz hinter dem Dortmunder Unicampus betreten und optimistische Worte über die Biomedizinbranche sprechen und dabei in die Fernsehkameras lächeln.

Thorsten Schumachers schwarze Markenschuhe hämmern im grauen Treppenhaus des neuen Biomedizinzentrums. Der 30-Jährige eilt durch verwinkelte Gänge, vorbei an namenlosen Türen in sein erst vier Wochen altes Büro. Bloß weg vom Wahlkampftrubel, hin zum Lebensmittelpunkt Büro. Eine zwei Meter hohe Glasfront bietet einen weiten Blick auf die Dortmunder Uni-Landschaft. Drinnen zwei sehr aufgeräumte Schreibtische der „chemeara bioinformatics GmbH“, an einem, im schwarzen Ledersessel, der schaukelnde Kollege Uwe Schmitz mit Bürstenhaarschnitt und Schlips.

52 Millionen Euro hat das Biomedizinzentrum gekostet. Gekommen sind gerade mal neun Mieter. „Die sollten sich mal fragen, ob man nicht vielleicht doch besser in Menschen investiert anstatt in Infrastruktur“, nörgelt Thorsten Schumacher. „Die“, das sind die Mutlosen, die nichts durchziehen, die noch das Sagen haben in NRW. Er selbst fragt die gar nichts mehr.

Während Peer Steinbrück unten redet, erklärt Schumacher oben, was wirklich los ist im Land. Auf das, was sich unten abspielt – erwartbare Sätze über die Wachstumsbranche Biomedizin und wie wunderbar sie Nordrhein-Westfalen voranbringt – hat er keine Lust. „Das stimmt ja so auch alles nicht“, sagt er, legt die kleine runde Brille auf den Schreibtisch und lehnt sich entspannt zurück. „Der große Boom ist vorbei, den nordrhein-westfälischen Biomedizinunternehmen geht es zur Zeit eher bescheiden, weil es eben fast unmöglich ist, Investoren zu finden.“

Auch in Schumacher und Kompagnon Schmitz hat niemand investiert. Zur Firmengründung vor zwei Jahren haben sie eine Million Euro zusammengekratzt. Privat. Ihren Angestellten, allesamt Topinformatikern, zahlen sie ein vierstelliges Gehalt, über ihr eigenes sprechen sie nur ungern. „Ungefähr dreimal so wenig“, sagt Schmitz. „Du hast ja sogar dein Auto abgeschafft,“ sekundiert Schumacher.

Beim Thema Geld verschwindet das stets präsente Lächeln des jungen Betriebswirts. „Es geht nicht immer nur um Geld, auch wenn sich das aus dem Munde eines Unternehmers verlogen anhört“, sagt er und verschränkt die Arme vorm karierten Hemd. „Wir können dazu beitragen, dass kranke, vielleicht todkranke Menschen schneller gesund werden. Das ist doch mal was wirklich Wichtiges.“ Auf Schmitz‘ Computerbildschirm flimmern dreidimensionale Moleküle von Krankheitserregern. Der 44-jährige ist der Naturwissenschaftler im Team, der Ideengeber. Das von ihm entwickelte Computerprogramm kann errechnen, wie ein Molekül geformt sein muss, um ein anderes gezielt zu zerstören. Die molekularen Strukturen von Krankheitserregern haben Biochemiker inzwischen gut erforscht. An den Molekülformen eines lebensrettenden Medikaments wird hingegen immer noch monatelang gefeilt. Jede Variante muss einzeln und von Hand am Computer konstruiert werden. Arbeit, für die Schmitz und Schumachers Informatiker inzwischen gerade mal zwei Stunden benötigen.

Eine brillante Idee, schwärmen die beiden. Eine Idee, die den Konzernen Millionen sparen könnte. Trotzdem müssen Schumacher und Schmitz sich in der mächtigen Pharmabranche erst einen Namen machen. Und dann, irgendwann, verdienen sie vielleicht auch so viel wie ihre Angestellten. Dann sind die schicken Anzüge und das noble Büro selbstverständlich und keine überhöhte Investition mehr in seriöses Auftreten.

Thorsten Schumacher löst die verschränkten Arme und zieht den Stuhl an den Tisch. „Ohne die ethische Komponente würden wir uns da nicht so reinhängen“, sagt er und wird plötzlich lauter. „Deshalb find ich‘s echt widerlich, was der Müntefering da mit seiner Kapitalismusdebatte abgezogen hat.“ Ein Schluck Kaffee. „Wirklich, ich fühl mich persönlich davon angegriffen, ich seh schließlich meine soziale Verantwortung als Unternehmer, bin nicht mit dem Betrieb ins Ausland gegangen, obwohl Einiges dafür spricht.“ Mit der SPD ist Schumacher deshalb fertig. „Endgültig unwählbar“ seien die Roten, zu denen der Farbton sowieso gar nicht mehr passt, findet er. „An die Unternehmenssteuersätze gehen die vermutlich auch wieder nicht ran! Aber pauschal alle Unternehmer beschimpfen ...“

„Gut gebrüllt“, lobt der Kollege Schmitz, klopft zustimmend auf den Tisch und lacht. Auch Thorsten Schumachers gleich bleibendes Lächeln erscheint wieder. Als sie fotografiert werden sollen, setzen sie sich abwechselnd vor den Bildschirm mit den flimmernden Molekülen. „Sieht man die Kette?“ fragt Schumacher plötzlich besorgt. Schmitz, der 14 Jahre ältere, ruckelt väterlich am Kragen. „Nö, der Schumacher ist wieder superseriös,“ stellt er lachend fest. Wer jeden Tag mindestens zwölf Stunden miteinander verlebt, kennt die kleinen Geheimnisse. Um den Hals trägt Schumacher an einem Lederband einen Stein, den er mit 16 am heimatlichen Strand bei Lübeck fand. Eine Erinnerung an Jahre, in denen Schumacher noch Zeit hatte, Steine zu finden und sie an Lederketten zu hängen.

Schumachers Stimme wird leiser, wenn er von seinem Privatleben spricht. „Ich habe eine langjährige Freundin“, sagt er und sein Jungengesicht sieht noch jünger aus und ein ganz kleines bisschen weniger selbstbewusst. „Das letzte Jahr war schlimm. Wenn ich mal zu Hause war, hat meistens das Telefon geklingelt, ich hatte wirklich nie Zeit.“ Inzwischen ist er am Wochenende meistens zu Hause, aber das Handy bleibt immer an, soweit ist er noch nicht, sagt er. Das Handy kann er nicht mal für eine Stunde vergessen, meistens klingelt es ja auch tatsächlich. „So ist das halt, wenn man was erreichen will.“ Zeit war sein ganzes Leben lang kostbar, der Lebenslauf ist entsprechend: Geboren 1975 in Lübeck als Sohn eines Bankers und einer Buchhalterin, Banklehre, Studium an der International School of Management in Dortmund inklusive Auslandsstudium in Kapstadt und London, exzellenter Abschluss, Berater in einer Schweizer Unternehmensconsulting, eigenes Unternehmen seit zwei Jahren.

Was noch kommen soll? Irgendwann ein Kind. Und dafür erwartet der Selfmademan dann doch noch etwas vom Staat: Ganztagsschulen und Betreuungsangebote auch für kleine Kinder. Und nicht nur für die von zahlungsfähigen Leuten. Kinder sollen keinem die Arbeitszeit wegnehmen, findet er. „Alles andere sind völlig veraltete Vorstellungen von Familie“ – er stockt –, „die man bei der CDU durchaus befürchten könnte.“ Heutzutage wird für seinen Geschmack viel zu viel gejammert und nach dem Staat geschrien. „Was soll die Regierung denn machen? Das Land ist derart verschuldet, die haben doch kaum Spielraum – egal wer an der Macht ist.“

Er blickt durchs Panoramafenster. Ein leeres Feld, die Betonfassaden des Technologieparks, ein bisschen Uni und verschwommen im Hintergrund alte Industrieanlagen. Die Menschen, die zu den alten Stahlwerken und Zechen gehören, kennt Thorsten Schumacher nicht. „Hier gibt es natürlich keine Arbeit für sie“, sagt er, sein Lächeln wird ein bisschen bedauernd, aber der Blick wandert zurück zur hellen Schreibtischplatte. Er hat eben keine Zeit, sich Dauerproblemlösungen auszudenken. Er ist in seinem arbeitsamen Leben voll und ganz beschäftigt. „Die Menschen müssen lernen, eigenverantwortlicher zu denken und zu handeln“, doziert er. Ein paar soziale Netze brauche man schon, wenn man wie Schumacher auf dem Hochseil balanciert, da ist er klassischer Bundesrepublikaner: soziale Marktwirtschaft, ein bisschen weniger sozial, als sie jetzt ist. Die Gesellschaft muss umdenken, eigenverantwortlicher handeln, damit für die nachfolgenden Generationen wenigstens ein bisschen soziale Sicherheit bleibt. „Es wird zu viel gejammert und zu wenig selbst gemacht.“

Beim Blick auf den Technologiepark fällt ihm ein, dass „Rot-Grün schon ganz schön viel Geld in neue Technologien reingesteckt hat“. Er lacht. Inzwischen hat fast jede Stadt im Ruhrgebiet ein Millionen teures Biomedizinzentrum. „Das verschwendet Synergien und jede Menge Landesgeld. Auch alte Dinosaurier wie die Steinkohle oder die Stahlbranche fressen immer noch Geld. Geld, das man besser in Innovation und die nachfolgende Generationen steckt.“ Dinosaurier sterben lassen, das kann Schwarz-Gelb besser als Rot-Grün, glaubt der Jungunternehmer. „In NRW wird sich allein dadurch etwas ändern, dass das Personal wechselt. 39 Jahre an der Macht verfilzen. Dadurch wird die Politik langsamer, bürokratischer und versperrt sich selbst den Blick auf neue Wege.“ Das gelte für jede Partei. Er brauchte zweieinhalb Monate „voller nerviger Formalia“, um die GmbH anzumelden, das lässt ihn hier oben noch heute den Kopf schütteln. „Nicht gerade attraktiv für Unternehmer.“

Unten im Erdgeschoss sagt Peer Steinbrück „Wir feiern hier eine Erfolgsgeschichte“ und „Dortmund ist auf der Höhe der Zeit“. Schumachers langjährige Freundin lehnt im Türrahmen, Seminarpause an der Managerschule. „Doch mal beim Empfang was essen?“ fragt sie.