Ehrgeiziges Frage-Antwort-Spiel

Kontinuierlich wachsende Dokumentation von Individuellem wie Gesellschaftlichem: Das „10 Years Project“ des japanischen Künstlers Shiro Masuyama archiviert in der Galerie CAI Gegenwart – vorerst nur noch diese Woche

Der deutsche Schüler glaubt, in zehn Jahren werde es keine Deutschen mehr geben. Die junge, schöne Französin meint, sie selbst sei in zehn Jahren „verbittert“ und die Gesellschaft „intellektuell verarmt“. Nicht eben rosige Zukunftsvisionen, die da von bislang rund 100 Menschen aus Ländern wie Japan, Kanada und Deutschland formuliert wurden – im Rahmen eines Fragebogenprojekts von dem japanischen Aktions- und Installationskünstler Shiro Masuyama.

Dessen Ergebnisse sind jetzt in der Galerie CAI Contemporary Art zu lesen. Genauer gesagt: die Ergebnisse des ersten Teils vom „10 Years Project“. Denn die maximal 200 Teilnehmer – Sie können also noch mitmachen! – sollen im Abstand von zehn Jahren ein und denselben Fragebogen mit 22 Statements zu persönlichen Vorlieben und Visionen ausfüllen.

Im Jahr 2015 will der in Tokio geborene und in Berlin lebende Künstler dann die individuellen Bestandsaufnahmen aus dem Jahr 2005 an ihre Urheber zurücksenden. Damit diese ihre Angaben neu formulieren – oder vielleicht genau die von vor zehn Jahren wiederholen. Die an ihn zurückgesandten Doppelstatements will Masuyama dann in einem Katalog veröffentlichen, der kostenlos jedem Teilnehmer zukommen soll.

Ein ehrgeiziges, ein aufwendiges Projekt mit dem Ziel, individuelle und gesellschaftliche Entwicklungen zu dokumentieren. Und es wächst kontinuierlich: Allein bei der Vernissage haben 30 Besucher den Fragebogen ausgefüllt und sich vor Ort fotografieren lassen. Tags darauf war der 33-jährige Künstler damit beschäftigt, alle diese Fragebögen samt passbildgroßem Foto unter Glas zu legen und sie streng chronologisch nach Ausfüllungsdatum an die Wand zu hängen.

Wer sich die Mühe macht, die DIN-A-4-Zettel aufmerksam zu studieren, wird nicht nur bruchstückhafte Facetten einer Persönlichkeit erkennen, sondern auch kulturelle Unterschiede ausmachen. Insbesondere die Frage nach dem „schlimmsten Erlebnis“ ist aufschlussreich. Eine Japanerin nennt den Moment, als ihr Vater zu ihr sagte: „Ich will dich nicht mehr sehen“, während eine junge Deutsche antwortet: „meinen Vater zu hassen“. Irritierend auch die Antwort eines Japaners, sein schlimmstes Erlebnis sei das Kidnapping seines Chefs gewesen.

Bleiben trotz des exzessiven Frage-Antwort-Spiels zwei Fragen offen: erstens, ob das Projekt in zehn Jahren tatsächlich abgeschlossen werden kann. Masuyama rechnet optimistisch mit einer Rücklaufquote von 50 Prozent. Zweitens, was dieses Projekt mit der 3. Triennale der Photographie zu tun hat, in dessen Rahmen es gezeigt wird. Vielleicht die Tatsache, dass ein paar Fotos früherer Aktionen des Künstlers im Eingangsbereich hängen? Immerhin wird das Motto der Triennale ernst genommen: Ein Archiv der Gegenwart wird hier tatsächlich neu angelegt – wenn auch keines der Bilder. Karin Liebe

Di–Fr 13–19 Uhr, Sa/So 13–18 Uhr, CAI – Contemporary Art International, Klosterwall 13; bis 22. 5.