Schluss mit der Polen-Paranoia!

Mit der EU-Osterweiterung kommen die Ostarbeiter. Restriktionen leiten sie in einige wenige schwach regulierte Bereiche. Deshalb muss der Mindestlohn her

Eine Million bis 2030? Nur im ungünstigsten Fall produzieren sie Arbeitslosigkeit Lohndruck von außen? 90 Prozent der Neugründer sind Deutsche, keineEU-Ausländer

Die Rumänen auf den Porträtfotos schauten hoffnungsvoll in die Zukunft. Genau das war das Beängstigende. „Wir freuen uns schon auf deutsche Jobs !“, titelte Bild hinterhältig und zitierte dazu die abgelichteten Rumänen: „Für 500 Euro im Monat“ würde der Wachmann Nagy Omega in Deutschland „jeden Aushilfsjob übernehmen“. Für „1.000 Euro Monatsverdienst“ wäre der Kellner Doru Victor Ferent in Deutschland zu einem Leben bereit, „das nur aus Arbeit und Schlaf besteht“.

Rumänien und Bulgarien treten zwar frühestens im Jahre 2007 der EU bei, doch die Angst vor den neuen Jobsuchern aus dem Osten lässt sich jetzt schon schüren. Die Belastungen durch die Jobkonkurrenz aus den neuen Beitrittsländern sind hierzulande ungleich verteilt. Die Reichen profitieren, denn die Renditen für Kapitalbesitzer werden durch die Osterweiterung steigen. Die geringer qualifizierten Beschäftigten jedoch sind teilweise bedroht. Eine Sozialpolitik, die nicht die Ausländerfurcht schüren will, muss sich dieser ungleichen Verteilung innerhalb Deutschlands annehmen.

Bis zum Jahre 2030 werden etwa eine Million Erwerbstätige aus den mittelosteuropäischen EU-Beitrittsländern samt ihren Angehörigen in Deutschland zugewandert sein, so die Hochrechnungen des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW. Der Jobdruck verändert den Arbeitsmarkt. Im negativsten von mehreren Szenarien wird die Gesamtzahl der Arbeitslosen in Deutschland am Ende steigen, wenn auch nur um jahresdurchschnittlich höchstens 180.000.

Allerdings sinken durch die Zuwanderung die Einkommen der „Handarbeiter“ im rechnerischen Mittel um bis zu 0,5 Prozent. Wer geistig arbeitet, also auch Jobs macht, in denen deutsche Sprachkenntnisse eine wichtige Rolle spielen, trägt hingegen ein geringeres Risiko, durch die Migration an Einkommen einzubüßen. Ergebnis unterm Strich: Das Bruttosozialprodukt in Deutschland wird durch die Zuwanderung neuer Arbeitskräfte erhöht.

Die Jobkonkurrenz konzentriert sich auf bestimmte Beschäftigungsbereiche. Es sind jene Gebiete, die auch für hiesige Jobber wenig reguliert sind und in denen körperliche Arbeit dominiert und eine gute Ausbildung nicht zwingend ist. Dazu gehört beispielsweise die Fleischwirtschaft, in der schon in den vergangenen Jahren viele deutsche scheinselbstständige Zerleger ackerten. Viele Polen machen sich zudem als Fliesenleger selbstständig. Dieses Handwerk ist seit vergangenem Jahr zulassungsfrei. Doch nur jede achte Firmenneugründung in den zulassungsfreien Berufen in Deutschland kommt von einem Bürger aus den neuen mittelosteuropäischen Beitrittsländern. Die Mehrzahl der „kleinen Selbstständigen“ im Handwerk, die sich so heftig Konkurrenz machen, dürften also Deutsche sein.

Dass die Zuwanderer aus den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern ausgerechnet in den Wirtschaftsbereichen landen, die im Ruf stehen, einem gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzt zu sein, liegt nicht zuletzt an den Beschränkungen, denen sie hierzulande ausgesetzt sind. Bis 2011 gelten die Restriktionen auf dem deutschen Arbeitsmarkt für Mittelosteuropäer. Eine freie Jobsuche in deutschen Firmen ist nicht möglich. Wer hier ackern will, muss entweder so genannter Werkvertragsarbeitnehmer sein (davon gibt es viele in der Bauwirtschaft), durch ein mittelosteuropäisches Unternehmen „entsandt“ werden oder sich im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit in einem zulassungsfreien Handwerk selbstständig machen.

Die Restriktionen in der freien Jobsuche führen paradoxerweise eben nicht zu einem breiten Konkurrenzschutz hiesiger Arbeitnehmer, sondern leiten den Druck um: auf die wenig geschützten Beschäftigungsfelder, in denen es Scheinselbstständigkeit, Schwarzarbeit und Billiglöhne gibt. Deshalb ackern polnische Ingenieure hierzulande als Bauhandwerker. Damit sind es letztlich die deutschen Beschränkungen für mittelosteuropäische Arbeitnehmer, die hierzulande zum Generalverdacht führen, alle Polen seien halblegale Billiglöhner.

In Großbritannien ist die Situation anders. Dort erhalten EU-Mittelosteuropäer befristete Arbeitsgenehmigungen, wenn sie in Restaurants, Hotels oder Busunternehmen anheuern. Und dort gibt es einen Mindestlohn von 7 Euro die Stunde, der auch von legal zugewanderten Jobbern nicht unterschritten werden darf. Allerdings ist das britische Beispiel kaum auf hiesige Verhältnisse übertragbar: Deutschland und Österreich empfangen aufgrund ihrer Grenznähe den ganz überwiegenden Teil, nämlich zwei Drittel, der Migranten, und sind damit einem ganz anderen politischen Druck im Inland ausgesetzt.

Dennoch ergibt sich aus dem Beispiel Englands das künftige Aktionsfeld deutscher Sozialpolitik. Eine Mindestsicherung der Erwerbstätigen im Inland ist dringend nötig. Der Vorstoß der rot-grünen Bundesregierung, das Entsendegesetz mit seinen tariflich vereinbarten Mindestlöhnen auszuweiten, geht in die richtige Richtung. In vielen Wirtschaftsbereichen, wie etwa dem Bewachungsgewerbe, dem Fleischerhandwerk und dem Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es allerdings keine bundesweit gültigen Tarifverträge, aus denen sich ohne weiteres ein Mindestlohn ableiten ließe.

Die Ausbreitung von tariflich vereinbarten Mindestlöhnen in bestimmten Berufen müsste also begleitet werden von einem gesetzlichen Mindestlohn, unterhalb dessen kein Arbeitnehmer einen Job annehmen darf. Die Gewerkschaft Ver.di hat einen Bruttostundenlohn von 7,50 Euro als gesetzlichen Mindestlohn vorgeschlagen. Dieses Entgelt läge über der Summe, die heute laut Tarif für Ungelernte im Einzelhandel, für Beschäftigte in der Landwirtschaft oder im Friseurgewerbe gezahlt wird. Dort sind derzeit Armutslöhne von 5, 6 Euro pro Stunde üblich. Der gesetzliche Mindestlohn bedeutete demgegenüber eine Armutssicherung für die Beschäftigten – und das ohne die explizite Abschottung nach außen.

Doch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns kann ein Problem nicht lösen: den Lohnwettbewerb nach unten durch die vielen Selbstständigen im Baugewerbe, die oft wie Arbeitnehmer tätig sind, aber weder Sozialbeiträge zahlen noch Mindestlöhne einhalten müssen. Den Nachweis, dass diese Selbstständigen eigentlich Arbeitnehmer sind, können nur aufwändige Kontrollen der Auftragsbücher erbringen.

Entsprechende Überprüfungen sind unumgänglich. Denn die Politik kann nicht bestimmte Wirtschaftsbereiche in Deutschland sozialpolitisch einfach „aufgeben“ und allein dem Druck durch das Lohngefälle mit den neuen Beitrittsländern aussetzen. Wenn sie das dennoch tut, werden genau diese Tätigkeitsfelder die Vorurteile und Ressentiments gegen die mittelosteuropäischen Zuwanderer schüren. Diese würden damit letztlich zu Sündenböcken für eine verfehlte innerdeutsche Sozialpolitik.

BARBARA DRIBBUSCH