Andischan trauert um seine Toten

Usbekische Oppositionspartei spricht von mindestens 745 Getöteten nach schweren Aufständen im Ferganatal. Viele Menschen suchen immer noch nach vermissten Angehörigen. Demonstrationen vor US-Botschaft in der Hauptstadt Taschkent

AUS ANDISCHAN PETER BÖHM

Andischan trauert. Im alten Teil der usbekischen Stadt im Ferganatal finden Gedenkfeiern für die Toten statt. Die Verwandten sind gekommen, trinken Tee und sprechen ihr Beileid aus. Noch am Montag hatten einige Straßenzüge wie in einer Geisterstadt gewirkt. Jetzt scheint die Stadt wieder zum normalen Leben zurückgekehrt zu sein. Menschen und Autos sind auf den Straßen zu sehen, die Geschäfte haben geöffnet, noch geschlossen sind Schulen, Kindergärten und Ämter.

Die oberen Stockwerke des Gebäudes der regionalen Verwaltung sind ausgebrannt. Das Gelände darum herum ist von Polizisten weiträumig abgesperrt. In der Nähe stehen leichte Panzer und Armeetransportlastwagen. Dort patrouillieren auch Soldaten.

Vor allem nachts sind die Straßen noch unsicher. Am Montagabend waren Schüsse zu hören, gestern gab es eine Schießerei in der Nähe des Gefängnisses. Niemand weiß, wer für diese Schüsse verantwortlich ist. Viele Leute sagen, dass nachts auf den Straßen Banditen ihr Unwesen treiben. Tulbachiur Turajewa, Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Animkor sagt, dass in ihrem Viertel ein stadtbekannter Bandit die Leute erpresst und sich als Polizist ausgibt.

Einige Menschen in Andischan vermissen immer noch Verwandte. Vor dem Zaun des regionalen Krankenhauses steht ein Dutzend Menschen, um dort in der Leichenhalle nach den Vermissten zu suchen. Nachdem sie ihren Pass gezeigt haben, werden sie nacheinander eingelassen. Dort sollen noch neun Leichen mit mehreren Schusswunden liegen. Auch in anderen Krankenhäusern der Stadt und Leichenhallen – so hört man – liegen Tote, die bisher noch niemand abgeholt hat.

Gestern gab die oppositionelle Freie Bauernpartei in der Hauptstadt Taschkent bekannt, eine Liste mit 745 durch Sicherheitskräfte getöteten Menschen erstellt zu haben. Parteichefin Nigara Chidojatowa sagte, Parteimitarbeiter hätten mit Freunden und Angehörigen der Opfer gesprochen, nachdem zuvor Sicherheitskräfte das Feuer auf Rebellen, Demonstranten und Zuschauer eröffnet hatten. Der Liste zufolge starben 542 Menschen in der Stadt Andischan und weitere 203 sind in Pachtabad aufgeführt, sagte die Parteichefin. Vermutlich handele es sich bei den Toten in Pachtabad um Menschen, die aus Andischan in diese nahe gelegene Stadt geflohen seien. Dazu gebe es aber noch keine verlässlichen Informationen.

Demgegenüber gab die usbekische Staatsanwaltschaft die Zahl der Getöteten mit insgesamt 169 an. Präsident Islam Karimow spricht bisher lediglich von zehn getöteten Polizisten „und vielen weiteren“ Rebellen.

Gestern versammelten sich trotz Behinderungen durch die Polizei dutzende Vertreter von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsgruppen vor der Botschaft der USA in Taschkent. „Wir wollen, dass die USA Usbekistan nicht bloß als einen riesigen Militärstützpunkt für ihren Krieg gegen den Terrorismus betrachten, sondern auch als ein Land, in dem die Menschen Freiheit und Menschenrechte wollen“, sagte einer der Demonstranten. In Usbekistan drohe ein Krieg. Dessen sollten sich die USA bewusst werden und den Demonstranten helfen. Sie forderten die USA auf, von ihrer Unterstützung für Karimow Abstand zu nehmen.

Am Montag hatte sich Washington deutlich zu Wort gemeldet und die Regierung von Präsident Islam Karimow aufgefordert, von Gewalt abzusehen. „Gewalt führt nicht zu langfristiger Stabilität“, sagte US-Außenamtssprecher Boucher. Washington sei „zutiefst beunruhigt“ über die Berichte von der blutigen Niederschlagung der Demonstration. Die US-Regierung verurteile „die wahllose Anwendung von Gewalt gegen unbewaffnete Zivilisten“ und bedauere den Verlust von Leben. Die US-Regierung verurteile jedoch Gewalttaten von Zivilisten wie bei der Erstürmung des Gefängnisses.