ZWISCHEN DEN RILLEN
Hymne auf Wimpern

Spektors Klavier wurde vorsichtig geglättet und mit erlesenem Instrumentarium umgeben. Ihre glockenhelle Stimme ist niemals so schräg, wie es die Geschichten sind, die sie in ihren Songs erzählt

Es gibt kaum etwas, worauf noch keine Hymnen gesungen wurden. Auf das Leben und auf den lieben Gott und auf die Liebe sowieso. Die Liste wird nun um einen viel zu lange verschmähten Gegenstand erweitert. Regina Spektor singt ein Loblied auf ihre Wimpern: „I got a perfect body ’cause my eyelashes catch my sweat – yes they do.“

Neben dem Loblied auf die praktischen Schweißfänger nimmt sich die New Yorker Sänger/Songwriterin auf ihrem neuen Album „Far“ anderer gewichtiger Themen an, wie einer gefundenen Geldbörse oder dem vergessenen Text des Lieblingslieds. Aber auch dem Leben, dem lieben Gott und, natürlich, der Liebe.

In „The Calculation“, einem rhythmisch fröhlich hüpfenden Song, beschließt ein Paar, die versteinerten Herzen aus dem Körper zu entfernen und sie probeweise mal aneinander zu schlagen. Vielleicht lässt sich ja auf diese Weise das alte Feuer wieder entfachen.

Wenn Spektor sich einem Thema widmet, seien es vergessene Körperteile oder vergangene Gefühle, dann kann man sich sicher sein, dass der Zugang nicht gewöhnlich ist. Mit ihren gewundenen Songs, die sie selbst am Klavier begleitet, hat sie sich über Jahre hinweg im heimischen New Yorker Viertel East Village eine treue Fangemeinde erspielt. Mittlerweile gastiert sie aber nicht mehr nur dort: Seit ihr 2006 mit „Begin To Hope“ ein erster kommerzieller Erfolg gelang, bestücken TV-Produzenten ihre Fernsehserien gern mit Songs der 29-Jährigen, und David Letterman lud sie in seine Talkshow. Mobilfunkunternehmen unterlegen ihre Werbespots ebenso mit dem zur Exzentrik neigenden Gesang von Spektor wie eine Kampagne für die Schwulenehe. In diesem breiten Spektrum besetzt sie erfolgreich eine Nische: Wem eine Björk zu kapriziös ist, Katie Melua zu adrett und Tori Amos zu konventionell, der lag und liegt bei Spektor richtig.

Mit „Far“ versucht Spektor nun, endgültig aus dieser Nische heraus und in den Mainstream zu kommen. Dazu wurde eine Garde renommierter Produzenten verpflichtet. Die hat Spektors klassisch ausgebildetes Klavierspiel vorsichtig geglättet und dezent mit erlesenem Instrumentarium umgeben. Waldhörner, Cello und manchmal sogar elektronische Beats setzen Akzente, im Zentrum bleiben aber das Piano und vor allem Spektors glockenhelle Stimme, die niemals so schräg zu klingen versucht wie die Geschichten sind, die sie in ihren Liedern erzählt. Selbst Jeff Lynne, ehemaliger Boss des Electric Light Orchestras und für gut ein Drittel des Albums verantwortlich, kam nicht in Versuchung, diesen transparenten Entwurf mit seinen berüchtigten Streicherwänden zuzukleistern.

So vorsichtig der Umbau des Gesamtklangs auch vonstattengeht, der persönliche Hintergrund von Spektor ist endgültig nicht mehr zu identifizieren. Ihr Debütalbum nannte sie noch „Soviet Kitsch“. Aber dass sie als Neunjährige mit ihren Eltern aus der damals noch existierenden Sowjetunion in die USA auswanderte, ist nun auf „Far“ musikalisch und textlich ebenso wenig zu hören wie ihre jüdische Herkunft. Wenn sie in „Laughing With“ Vor- und Nachteile des Glaubens diskutiert, dann ist die konfessionelle Ausrichtung des mal nützlichen, mal eher lächerlichen Gottes ausdrücklich nicht genau spezifiziert.

Solche doppeldeutigen Texte über sonderbare bis abseitige Themen waren es wohl vor allem, die Spektor ein ihr ursprünglich zugewiesenes Schicksal erspart haben. Zu Beginn ihrer Karriere wurde sie von den Medien noch als Konkurrenz zur damals omnipräsenten Norah Jones gesehen. Doch gegen deren federleichten Jazzpop wirkte Spektor schnell zu sperrig. Mittlerweile aber hat sie Erfolg mit den vergleichsweise verschlungen vertonten Nachrichten aus ihrer eigenen seltsamen Welt. Es ist also hoffentlich noch die eine oder andere Hymne auf einen bislang unbesungenen Gegenstand von Regina Spektor zu erwarten. THOMAS WINKLER

■ Regina Spektor: „Far“ (Sire/Warner)