Klangerlebnisgenerierer

POSTROCK „Tortoise“ stellen ihr ein neues Album vor

„Tortoise“ generieren und modulieren Versatzstücke in ausführlichen Phrasierungen

VON KERSTIN SCHROEDINGER

„Millionen, die jetzt leben, werden niemals sterben“. Einen kryptischen Titel hat das Chicagoer Instrumental-Quintett „Tortoise“ seinem dritten Album vor 13 Jahren verpasst. Ebenso rätselhaft kam vielen die Musik darauf vor: „Tortoise“, ursprünglich einem Indierock-Umfeld entstammend, inkorpierten als eine der ersten US-amerikanischen Indie-Bands Krautrock, Dub, Minimalismus, Electronica und die verschiedensten Spielarten des Jazz. Irgendwie mit dem Rock verwandt, verließen „Tortoise“ dessen ausgelaufene Pfade zunehmend: Postrock.

Im Wesentlichen besteht die Band dabei heute wie damals aus drei Personen, die der Chicagoer Szene, die für die Entwicklung des Postrock eine so bedeutende Rolle spielt, gewissermaßen ein Fundament geben. Ohne das Gerüst aus Instrumental-, Math- oder Noise-Rock-Projekten ins Wanken zu bringen, hat das Trio es dabei geschafft, stets umtriebig und beweglich zu bleiben. John McEntire etwa, seineszeichens Schlagzeuger von „Tortoise“, zählt neben seiner Tätigkeit bei „Sea and Cake“ und diversen anderen Projekten („Bastro“, „Gastr del Sol“) auch seiner Arbeit in den Soma Studios als Klangtüftler und Produzent wegen zu den maßgeblichen Urheber des neuen Stils. Ohne McEntire kein Chicago-Sound.

Den Anfang haben zwar schon um 1989 die beiden Multi-Instrumentalisten Doug McCombs und John Herndon gemacht. Erst die Erweiterung der Band zu einem Quintett aber ergab jene Vielschichtigkeit, die das Instrumentale abwechslungsreich und wohlarrangiert auftreten lässt, ohne ins Kitschige oder Selbstverliebte zu driften. Das den „Tortoise“-Sound typisch Prägende sind seitdem die beiden Schlagzeuge und eine deutliche Emphase der Rhythmussektion: vor allem live ein außergewöhnliches Hör- und Seherlebnis.

Im Gegensatz zu den kinematographischen Arrangements jenes vom Nihilismus und der euphorischen Abgegessenheit der 1990er Jahre geprägten Retrosounds der Anfangszeit, klingen „Tortoise“ mittlerweile sehr viel Progrock-iger: Eher nach „Trans Am“ oder, wenn man auf deren Ahnen zurückgreift, wie eine Mischung aus „Can“, „Kraftwerk“ und David Byrne.

Aber eindeutig waren „Tortoise“ eben nie. Interessanter waren stets Experimentierfreude und der Mut zur Modulation. „Wir versuchen ein Klangerlebnis zu generieren“, hat McEntire das einmal genannt. „Tortoise“ komponieren oder schreiben keine Stücke, sondern generieren Versatzstücke und modulieren diese in instrumental ausführlichen Phrasierungen.

■ So, 16. 8., 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36