Ortstermin unter Bewachung in Andischan

Usbekistans Innenminister zeigt Delegation die Stadt nach dem Aufstand. Gespräche mit Bewohnern sind verboten

ANDISCHAN taz ■ Ein Tross von 80 ausländischen Journalisten und Diplomaten wurde gestern von der usbekischen Regierung gegen zehn Uhr morgens nach Andischan eingeflogen. Bei einer von dem usbekischen Innenminister Sokir Almatow geleiteten Tour wurde die Gruppe drei Stunden durch die usbekische Stadt im Ferganatal geführt, um die Version der usbekischen Regierung über die Niederschlagung des Aufstandes in Andischan zu untermauern.

Die Journalisten und Diplomaten wurden zu dem erstürmten Gefängnis und der geplünderten Kaserne gefahren und durften den zentralen Platz besichtigen, auf dem am Freitag die Einheiten des Innenministeriums das Feuer auf die Menschenmenge eröffnet hatten. Die Diplomaten und Journalisten durften jedoch nicht selbstständige Gespräche mit den Bewohnern der Stadt führen.

Am Vortag hatten in Taschkent der Staatsanwalt und Präsident Islam Karimow in einer Pressekonferenz vehement das Massaker von Andischan geleugnet. „Die Sicherheitskräfte haben nicht auf Zivilisten geschossen“, sagte Karimow. Er beschuldigte die wenigen internationalen Journalisten, die während der Niederschlagung des Aufstandes in Andischan waren, der Lüge und des faktenlosen Berichtens. Terroristen und Islamisten hätten sich der Stadt bemächtigt, sagte er. Zuvor habe die Regierung den Aufständischen vergeblich einen freien Abzug angeboten, erklärte Karimow.

Da am Freitag auf dem zentralen Platz in Andischan weder Kameras noch Fotoreporter anwesend waren, gibt es keine Bilder von der Niederschlagung. Jedoch haben Journalisten mit eigenen Augen gesehen, wie die Truppen des usbekischen Innenministeriums vom Panzerwagen aus auf mehrere tausend Menschen geschossen hatten. In Taschkent hat der Staatsanwalt die Ziffer der Todesopfer mit 169 angegeben, darunter 32 Angehörige der Regierungstruppen, einige von Aufständischen genommene Geiseln, drei Frauen und zwei Kinder. Die meisten Erschossenen seien bewaffnet gewesen, so der Staatsanwalt. Augenzeugen in Andischan berichten von einer hohen dreistelligen Todesziffer. Es liegen Kopien nummerierter Totenscheine vor, dessen höchste Nummer schon die Zahl 328 trägt.

Derweil ist die östlich von Andischan und an der Grenze zu Kirgistan gelegene Stadt Korassuw weiter nicht mehr unter der Kontrolle der usbekischen Regierung. Die Straßen kontrolliert eine Bürgermiliz, die die usbekische Bauernkluft – einen Kittel, Lederstiefel und die Kopfbedeckung Tebetekja – tragen. Ihr Anführer ist der 46-jährige Baktier Rachimow, der in der Nähe der Stadt ein Landgut besitzt. „Wir garantieren die Ordnung nach der Regel des Islam“, sagt er und verneint, dass diese Gruppierung Verbindung zu Aufständischen in Andischan hätte.

Am Samstag hatten mehrere 100 Menschen gewaltsam in Korassuw die zwei Brücken zu Kirgistan wieder eröffnet und das örtliche Polizeipräsidium angezündet. Berichten zufolge stehen außerhalb Korassuw usbekische Truppen. Sie sind bereit zum Sturm. MARCUS BENSMANN

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