Apotheken bestehen auf Millionenausgleich

Von undurchsichtigen Klauseln in der Gesundheitsreform könnten statt der Krankenkassen nun die Apotheker profitieren. Kostenpunkt: 390 Millionen Euro. Apotheker wollen trotzdem nicht als Reformgewinnler dastehen

BERLIN taz ■ Das kommt davon, wenn die Lobbys die Gesetze mitschreiben dürfen. Wenig aussichtsreich dürfte die Forderung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bleiben, dass das Versichertenvolk nicht Opfer des aktuellen Finanzkrachs zwischen Kassen und Apothekern werden darf. „Es kann nicht sein, dass die Versicherten belastet werden“, sagte Schmidt gestern – wie zuvor bereits andere Gesundheitspolitiker von Koalition und Union.

Es geht nach Darstellung des Chefs der Betriebskrankenkassen (BKK), Wolfgang Schmeinck, um 390 Millionen Euro. Das entspräche über den Daumen gepeilt rund 0,04 Prozent Kassenbeiträgen. Doch von den am Freitag anstehenden Verhandlungen zwischen Apotheken und Kassen erwarten Insider bestenfalls, dass sich dort der verhandelte Betrag halbiert. Von einer Schiedsgerichtsverhandlung, die weit länger dauern würde, wird nichts anderes vermutet. Dann würden sich die Krankenkassen bis zu 200 Millionen Euro über die Versichertenbeiträge wieder hereinholen, die sie den Apothekern auszahlen müssen.

Gegenstand des Streits sind Klauseln in den Gesundheitsreformgesetzen der Jahre 2002 und 2003. Erstens haben sich die Apotheker dort ein Auffangnetz gegen Einkommensverluste hineinschreiben lassen. Zweitens haben die Kassen erwirkt, dass die Umstellung der Apothekervergütung auf Festbeträge nicht zu Ausfällen bei ihnen führt.

Sie befürchteten, dass die Apotheker lauter kleine Packungen verkaufen würden. Denn wird nicht mehr anteilig am Packungspreis, sondern einheitlich pro Packung mit 8,10 Euro vergütet. Deshalb landete die Maßgabe im Gesetz, dass es einen „Ausgleich“ geben sollte, wenn die Zahl der verkauften Packungen 2004 von der im Jahre 2002 abweicht.

Dieser Ausgleich jedoch wirkt sich nun nicht zugunsten der Kassen, sondern im Gegenteil zugunsten der Apotheker aus. Denn wider Erwarten verordneten die Ärzte Großpackungen. An anderer Stelle – den nicht verschreibungspflichtigen Pillen – haben die Apotheker jedoch richtig zugelegt.

So gibt auch Annette Rogalla von der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände zu, dass die typische Apotheke um die Ecke im vergangenen Jahr ein durchschnittliches Plus von 3.000 Euro erzielt hat. Rogalla wehrt sich allerdings gegen die Behauptung, die Apotheker seien die „Gewinner der Reform“. Allein die Umstellung des Honorarsystems habe die Apotheken 300 Millionen Euro gekostet.

Ministerin Schmidt hofft für morgen auf eine Einigung. Sie kann ein derartiges Verhandlungschaos wenige Tage vor der NRW-Wahl gar nicht gebrauchen. „Ich setze sehr darauf, dass die Vertragspartner eine Lösung finden“, sagte sie. Sie drohte damit, dass sonst „gesetzliche Maßnahmen auf den Weg gebracht werden“.

Der Chef des Gesundheitsausschusses des Bundestags, Klaus Kirschner (SPD), kritisierte gegenüber der taz den ganzen Vorgang heftig. Er hofft auf ein Gesetz. Dies gilt im System der so genannten Selbstverwaltung im Gesundheitswesen jedoch immer nur als letzte Option. „Dies wäre eine Chance, die ganze Einkommensgarantie für Apotheker abzuräumen“, sagte Kirschner. „Für Freiberufler hat so etwas doch im Gesetz überhaupt nichts zu suchen. Der Versicherte hat auch keine Einkommensgarantie.“ Wenn es nach ihm ginge, könnten Kassen und Apotheker die Preise für den Pillenverkauf frei verhandeln, sagte Kirschner. Wenn jetzt nicht gehandelt werde, „haben wir das Problem doch nächstes Jahr wieder auf dem Tisch“.

MADLEN OTTENSCHLÄGER, UWI