Das Privileg der Fremdheit

Eigentlich wollte Magdalena Felixa gleich wieder abreisen, weil die Menschen ihr in Berlin so unfreundlich schienen. Inzwischen ist die polnische Autorin hier zu Hause und träumt auf Deutsch

INTERVIEW ULF LIPPITZ

taz: Frau Felixa, im ersten Kapitel Ihres Buches „Die Fremde“ beschreiben Sie Berlin als Stadt der Entzauberten. Was meinen Sie damit?

Magdalena Felixa: In keine andere Stadt sind in den letzten Jahren so viele Erwartungen und Hoffnungen gesetzt worden. Viele Menschen sind deshalb nach Berlin gezogen. Ihre Hoffnungen aber wurden vor Ort enttäuscht.

Hat das einen bitteren Beigeschmack?

Nein, keinesfalls. Die Situation ist beruhigter, nicht so aufgeregt wie am Anfang, als man dachte, das ist der Platz, wo man sein muss.

Sind Sie inmitten dieser Welle in die Stadt geschwappt?

Ich wollte schon immer nach Berlin, weil ein paar gute Freunde von mir hier leben. 1998 kam ich dann nicht mehr als Tourist, sondern ganz.

Wie war Ihr erster Eindruck?

Ich wollte gleich wieder abreisen. Ich war abgeschreckt. Die Menschen schienen unfreundlich. Das kannte ich aus Wien, wo ich davor gelebt habe, gar nicht. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.

Sehen Sie es als Herausforderung, die Leute für sich zu gewinnen?

Nein, in Berlin braucht man niemanden für sich zu gewinnen. Es herrscht eine tolerante Gleichgültigkeit gegenüber dem Tun anderer Menschen. Das finde ich sehr angenehm. So kann ich in Ruhe Dingen nachgehen, ohne gestört zu werden.

Gab es einen Moment, als Sie merkten, Sie sind jetzt angekommen?

Immer wenn ich am Bahnhof oder Flughafen aussteige? Nein, ehrlich, das Gefühl, in einer Stadt anzukommen, finde ich nicht wichtig. Ich plane nicht. Deshalb brauche ich solche Kategorien nicht.

Finden Sie es wichtig, ein Zuhause zu haben?

Man muss sich dort wohl fühlen, wo man gerade ist. Erst wenn das nicht der Fall ist, entsteht überhaupt das Gefühl des Unwohlseins. Damit will ich nicht sagen, ich würde nicht an dem Leben hier teilhaben. Ich arbeite hier, habe eine Familie und Freunde.

Sie skizzieren ein düsteres Berlin. Wollten Sie den Optimismus der Stadt dämpfen?

Nein, ich wollte einfach die Geschichte einer Frau schreiben, die einem nicht auffallen würde, wenn sie an uns vorbeiginge. Eine Frau, die nicht die besten Voraussetzungen hat, um im Leben zu bestehen. Die Absicht bestand nicht darin, eine schön düstere Geschichte zu schreiben, aber die Stimmung scheint mir im Augenblick zu kippen. Es gibt momentan viele Probleme, deren Lösungen in weiter Ferne liegen.

Sie haben zuvor in Wien gelebt. Wie anders empfinden Sie die Stadt?

Nirgends sind die Jugendlichen älter als in Wien. Es gibt kaum Unterschiede zwischen den Generationen. Ich habe viele Zwanzigjährige kennen gelernt, die bereits eine feste Vorstellung davon hatten, wie ihr Leben mit fünfzig aussehen soll. Das hat mich immer irritiert. Aber alles in allem ist Wien eine sehr schöne Stadt. Es ist sehr luxuriös, Kunst zu machen. Damit ist man in Wien jedoch stark an verschiedene Menschen und Institutionen gebunden. Dagegen kann man sich in Berlin frei entfalten.

War das ein Grund, nach Berlin zu ziehen?

Nein, ich kannte Wien, habe dort neun Jahre gelebt und hatte eine sehr schöne Zeit dort. Aber es war Zeit zu gehen.

In Wien arbeiteten Sie auch als Schauspielerin. Wie kamen Sie dazu?

Zufällig. Ich war in den USA und wollte zurück nach Europa, um hier zu studieren. Eine Freundin von mir flog zu einer Schauspielprüfung nach Wien. Sie hat mich überredet mitzukommen und mitzumachen – und ich wurde zu meinem großen Erstaunen genommen.

Glauben Sie mir, ich hatte vorher nie Theater gespielt. Dann, im ersten Semester, habe ich angefangen Stücke zu schreiben. Ich habe meine armen Kommilitonen gezwungen, sie vorzusprechen und aufzuführen.

Sie sind in Polen geboren. Als Sie neun Jahre alt waren, gingen Sie in den Westen, haben später einige Zeit in den Staaten gelebt. In welcher Sprache träumen Sie?

In Deutsch. Das kann aber variieren. Wenn ich lange wieder im englischsprachigen Ausland bin, falle ich zurück ins Englische.

In welcher Sprache lässt es sich am besten fluchen?

Polnisch. Darin gibt es die besten Schimpfwörter. Aber ich werde Ihnen kein Beispiel nennen.

Können Sie sich noch an Ihre Kindheit in Polen erinnern?

Ja, ich bin dort bis zur dritten Klasse in die Schule gegangen. Aber ich denke, ich bin nicht anders als all die anderen Kinder im Osten aufgewachsen. Es gab sowohl schöne als auch schlechte Erinnerungen. Meine Mutter war Pianistin, mein Vater Journalist, es war nahezu unmöglich für sie, ihre Berufe auszuüben. Das bedrückende Gefühl, wenn man den Kommunismus nicht hundertprozentig unterstützte, war allgegenwärtig.

Angesichts des Buchtitels „Die Fremde“ drängt sich die Frage auf: Fühlen Sie sich fremd?

Man hat nicht das Privileg der Fremdheit, nur weil man Ausländer ist. Viele Menschen fühlen sich fremd in der heimischen Umgebung, an ihrem Arbeitsplatz oder in ihrer Familie. Natürlich fühle ich mich im Moment in Berlin nicht fremd, weil hier mein Alltag abläuft. Ich schreibe an meinem zweiten Buch, kümmere mich um meinen fünfjährigen Sohn und reise manchmal mit meinem Mann umher. Er arbeitet als Regisseur, da ist er öfter unterwegs.

Am Ende Ihres Buches verreist die Protagonistin in ein Traumziel ihrer Wahl. Wohin würden Sie fahren?

Tel Aviv. Die Stadt ist lebendig, nachts sind alle Geschäfte offen, die Lokale sind voll – auch wenn es kurz zuvor einen Anschlag gegeben hat.

Magdalena Felixa: „Die Fremde“. Aufbau, Berlin 2005, 200 Seiten, 17,90 Euro