Flipflop

Selbst wenn es nur eine Sparmaßnahme wegen der „Wetten dass“-Extravaganz in der Türkei war: Das „Große Prominenten-Turnen“ gestern im ZDF war furchtbar. Schuld ist aber Stefan Raab

VON CHRISTOPH SCHULTHEIS

Vielleicht muss man nicht dabei gewesen sein beim „Großen Prominenten-Turnen“, um davon zu erzählen. Vielleicht muss man es nicht einmal gesehen haben, wie das ZDF anlässlich des Internationalen Deutschen Turnfests in Berlin ein Dutzend „Prominente“ und Moderator Johannes B. Kerner knapp 100 Minuten lang in der Arena des Velodroms von Turngerät zu Turngerät schickte, um sich vorzustellen, wie’s war.

Ja, vielleicht langt es ja schon, sich das einfach nur vorzustellen oder sich aus der gestrigen Welt die Begriffe „Flaute“, „austauschbare Dutzendgesichter“ und „Lustlosigkeit des Konzepts“ herauszupicken, mit denen die Zeitung der Veranstaltung gerecht zu werden versuchte. (Womöglich hätte es dort nicht einmal der betont beiläufig eingestreuten Behauptung bedurft, das ZDF habe mit der Show – „gerüchtehalber“ – die Kosten für Thomas Gottschalks türkische „Wetten, dass …?“-Sause am Pfingstsonntag wieder reingeholt. Schließlich bezeichnete man beim ZDF die Showidee im Vorfeld bereits selbst als „na ja, nahe liegend“.)

Nein, ganz unabhängig davon, ob man live im Velodrom gesessen oder von zu Haus aus zugeschaut hatte, bot die am vergangenen Dienstag aufgezeichnete und gestern Abend ausgestrahlte ZDF-Show eine gute Gelegenheit, sich endlich daran zu gewöhnen, dass der Begriff „Prominenz“ im Fernsehdeutschland des 21. Jahrhunderts einfach etwas anderes bedeutet als früher. Wenn sogar das Herumnörgeln an seelenlos gewordenen Begrifflichkeiten so inflationär geworden ist wie deren Gebrauch, gilt es, sich den Realitäten zu stellen – oder wenigstens doch mal kurz auf Stefan Raab zu sprechen zu kommen.

Der hat die neuen Prominenten zwar nicht erfunden, die tingelten auch ohne ihn durch Talkshows, Boulevardmagazine und -zeitungen oder den australischen Dschungel. Aber es ist fraglos Raab, der so was wie das „Große Prominenten-Turnen“ im ZDF erst möglich gemacht hat, indem er 2003 im Auftrag von Pro7 ein paar Film-, Funk- und Fernsehnasen für seine „Wok-WM“ dazu überreden konnte, sich in chinesische Kochtöpfe zu setzen und damit eine Bobbahn hinunterzuschlittern. Und es ist fraglos Raabs Gespür für Dramaturgie, der halbironischen Grundhaltung des Ganzen und dem semiprofessionell inszenierten Nervenkitzel zu verdanken, dass das stets bestens funktioniert. 23.000 Karten für sein „TV Total Stock Car Crash Callenge“ Ende Juni in der Arena auf Schalke sind, wie es heißt, schon jetzt verkauft.

Dass Raab seine „Prominenten“ aber zuletzt ausgerechnet zum Turmspringen angeheuert hatte, kann man darüber hinaus geradezu hintersinnig finden. Denn wie im Theater ist auch im deutschen Fernsehen die Frage der Relevanz nicht zuletzt eine Frage der Fallhöhe. Und die errechnet sich eben entweder aus der tatsächlichen Prominenz der Prominenten oder aus dem Risiko, das sie vor laufender Kamera einzugehen bereit sind. Wenn also nicht Paris Hilton, Helmut Kohl oder Sabine Christiansen, ja, nicht mal ein Gottschalk und Jauch fürs ZDF zum Gerät- und Bodenturnen antraten, sondern nur Leute, die Patrik Fichte oder Marco Schreyl heißen, ist deren größtmögliche Absturzgefahr kaum höher als eine blaue Gummimatte.

Kurzum: Wie „Das große Prominenten-Turnen“ im Fernsehen rüberkam? Keine Ahnung! Ob ein Felgaufschwung am Reck (Markus Lanz), ein Gleichgewichtsverlust auf dem Schwebebalken (Tanja Wedhorn) oder albernes Pogewackel (Berhard Hoecker) auf dem Bildschirm irgendwie beeindrucken konnten? Wer weiß. Bei der Aufzeichnung im Berliner Velodrom jedenfalls war alles ganz genau so, wie man es sich vorgestellt hatte – oder, vielleicht, ein wenig schlimmer. Für die zum Turnfest angereisten Turnvereine war die Veranstaltung eine Abwechslung im Hochleistungsprogramm: Erbärmlich wie ein Pausenclown zwar, doch wann immer es dem Publikum langweilig wurde, machte es kurzerhand ein wenig „La Ola, die Welle“, und wenn ihnen die Wertungen der „Jury“ zu albern wurden, wurde hemmungslos gebuht. Die Eintrittskarten kosteten um die 10 Euro.

Doch ob es dem Vor-Ort-Publikum gefiel, war dem ZDF sichtlich egal. Seine Sorge galt den Vor-Ort-Journalisten: Im Vorfeld hatte der Sender den Berichterstattern tatsächlich eine Selbstverpflichtungserklärung vorgelegt, die ihnen bis zur Ausstrahlung der Show Stillschweigen darüber abverlangte, welches Team gewinnt. Und so viel perfide Selbstironie hätte man dem Sender gar nicht zugetraut.