ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Vier Zähne für Luke Skywalker

Meine Begegnung mit der dunklen Seite der Macht: Ich gab meinen Körper, damit George Lucas reich wird

Während die Rotationspressen Druckerschwärze in diese Buchstaben verwandeln, läuft der neue „Star Wars“-Film in Deutschland an. Sie selbst könnten ihn also schon gesehen haben! Ich noch nicht. Trotzdem kann ich viel darüber erzählen. Das Recht, über „Krieg der Sterne“ zu schreiben, habe ich mir verdient. Unter Schmerzen.

George Lucas hat vorsichtig geschätzt 9.876.543.210 Trilliarden Dollar durch Merchandising eingenommen, das ihm das Filmstudio im ersten Vertrag unvorsichtigerweise auf Lebenszeit überlassen hatte. Da ist eine Menge Zeug überall auf der Welt verkauft worden.

Und dennoch bin ich ganz sicher: Mein persönlicher Beitrag zum finanziellen Erfolg der „Star Wars“-Saga wird von niemandem in den Schatten gestellt: Denn ich habe „Star Wars“-Devotionalien mit meiner Unschuld bezahlt. Und ich war noch ein Kind, als ich es tat. Das klingt jetzt nach einem ganz schlimmen Fall fürs Jugendamt. Und eigentlich war es auch einer. (Ja, Mutter, lies ruhig weiter. Jeder kann es lesen! Auch die Nachbarn und deine Kolleginnen!! Die ganze Welt soll es wissen!!!)

Ich war neun, als ich für vier „Krieg der Sterne“-Figuren meinen Kinderkörper verkaufte. Einen bestimmten, sehr wichtigen Teil meines Körpers. Genauer gesagt: vier Teile. Ganz genau: Oben links 17, oben rechts 27, unten links 47, unten rechts 37. Menschen, die ein ähnliches Trauma durchlitten, wissen schon jetzt, wovon ich rede. Für Glücklichere sei hier versucht, den Schrecken in Worte zu fassen: Das Kind, das ich war, sollte eine Zahnspange bekommen.

Eine so genannte Klammer. Als wäre die damit einhergehende gesellschaftliche Ächtung nicht Strafe genug, sollte mir noch zusätzlich Schmerz zugefügt werden: Vier Zähne mussten aus meinem kindlichen Kiefer gezogen werden, um die Entstehung eines so genannten Habsburger Bisses, ein Vorstehen des Unterkiefers, zu vermeiden.

Vier Zähne. Niemals hätte ich das zugelassen. An den Haaren hätten sie mich in die Praxis schleifen müssen und auf dem Zahnarztstuhl festbinden können. Aber sie haben mich nicht gezwungen. Sie haben mich korrumpiert. Bestochen. Gekauft. Mit dem letzten Mittel, das pädagogisch anspruchsvollen Eltern in der ersten Hälfte der achtziger Jahre blieb: „Wenn du dir die Zähne ziehen lässt, bekommst du auch ein Krieg-der-Sterne-Männchen“, sprach meine Mutter. „Wirklich? Obwohl die Waffen haben und Schund aus Amerika sind?“, jubelte ich. „Ehrenwort. Du bekommst eine Figur“ – „Nur eine?“ – „Na gut, für jeden Zahn eine.

So bekam ich den goldenen Roboter C3PO, seinen kleinen dicken Freund R2D2, die anmutige Prinzessin Leia und Luke Skywalker, den Helden. Sie waren aus hartem Gummi, gut 15 Zentimeter hoch und kosteten 5 Mark 99 im Divi-Supermarkt. Nie wieder besaß ich einen größeren Schatz.

Natürlich bat ich den Zahnarzt, nach der vierten Operation fortzufahren. Vergeblich. Auch sprang ich von einer Baumwurzel, weil ich gehört hatte, dass man sich dabei einen Knöchelbruch holen könnte. Aber Kinderknochen sind ja so biegsam.

Weitere Versuche der Selbstverstümmelung waren nicht notwendig. Denn der Damm war gebrochen. Ich durfte mir vom Taschengeld bald Storm Troopers kaufen, Raumschiffpiloten und irgendwann sogar Darth Vader. Meine Eltern, die für Holzspielzeug und gegen die Kulturindustrie waren, gaben sich geschlagen. Ich konnte endlich mithalten mit meinen Mitschülern aus der Arbeiterklasse: Die hatten viel früher „Star Wars“-Figuren. Aber nach dem Zahnopfer schlug ich mit imperialer Macht zurück: Wahrscheinlich war ich das einzige Lehrerkind in ganz Deutschland, das den „Millennium Falcon“ besaß. Irgendwann wurde ich leider älter. Und habe den ganzen Krempel weggegeben. Nie werde ich die Freude meines kleinen Cousins vergessen. Und das Entsetzen im Gesicht meiner Tante. Eine Figur habe ich jedoch behalten: Darth Vader steht heute noch auf meinem Schreibtisch und lächelt diabolisch hinter seiner Maske, weil wir beide wissen: Die dunkle Seite der Macht ist mächtiger.

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