Mein Herz tanzt solo

LEBENSFRAGEN Erlesen: Nino Haratischwilis „Ich, Du, Marina“

Es gibt Angenehmeres, als um zwei Uhr nachts in einem Moskauer Winter allein am Fenster in der 12. Etage eines Hochhauses zu stehen. So sehen nur jene dünnhäutigen Stunden aus, in denen man widerstandslos jenen Lebensfragen ausgesetzt ist, die so basal sind, dass sie einem vor anderen Leuten schlichtweg peinlich wären.

Im selbstinszenierten Stück von Nino Haratischwili geht es um diese Art von Grundsätzlichkeiten: Wer bin Ich und wer ist mein Du? Eine Frau sitzt auf ein paar Büchern und beginnt zu sprechen. In einer Zinkwanne hockt hinter ihr Rücken an Rücken eine andere Frau. Auch sie bewegt ihre Lippen. Es ist nicht ganz auszumachen, wer es eigentlich ist, der hier spricht.

Diese Unentscheidbarkeit gehört zur Rahmung des Stücks. Eine junge Schriftstellerin (Lucia Peraza Rios) befindet sich in einer akuten Lebens- und Schaffenskrise und gedenkt einer toten Vorgängerin, der bewunderten russischen Dichterin Marina Zwetajewa. Ihr Geist (bravourös gespielt von Solveig Krebs) steigt sodann aus der Wanne wie aus einem Grab und steht der Verzweifelten Rede und Antwort.

Es ist ein im doppelten Sinne „erlesenes“ Stück, dass das ambitionierte Lichthof Theater auf seine Bühne bringt. Meterhohe Bücherstapel säumen die Spielfläche. Und es wird nach dem Kern der Sprache gefragt, nach dem Ausweg aus dem „Ich-Gefängnis“, nach dem Verhältnis von Liebe und Schreiben. Wahllos wird nicht nur in Büchern gewühlt und aus ihnen vorgelesen, sondern sie werden auch seitenweise buchstäblich durchgekaut. Haratischwilis Sprache oszilliert dabei zwischen poetischen und zornigen Momenten: „Scheiß auf das Jahrhundert mit seiner Sehnsucht nach Elementaritäten.“

Gedichte halten auf etwas zu, hat Paul Celan einmal geschrieben. „Worauf? Auf etwas Offenstehendes, Besetzbares, auf ein ansprechbares Du vielleicht, auf eine ansprechbare Wirklichkeit.“ Das gilt auch für diesen Theaterabend.  SAMUEL MOON

■ Sa, 24. 3., 20.15 Uhr, So, 25. 3. 19 Uhr, So, 1. 4. 19 Uhr, Sa, 14. 4. 20.15 Uhr, So, 15. 4. 19 Uhr, Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15b