HERMANN-JOSEF TENHAGEN HAUSHALTSGELD
: Dank Zinstief zum Ziegenwirt

Ein Haus mit Scheune gibt es in manchen Dörfern schon für 50.000 Euro. Das ist schön, aber keine Geldanlage

Nie war es einfacher, aufs Land rauszuziehen, für wenig Geld ein kleines Haus und einen großen Garten zu erwerben und das Ganze auch noch von einer großen Bank für nur 3 Prozent Zinsen finanziert zu bekommen. Jedenfalls, wenn man etwas Geld oder einen festen Job hat und die Menschen, die man liebt, mitziehen.

Auch für Aussteiger lohnt ein bisschen private Betriebswirtschaft. Mit Vermögen oder Job profitieren sie von zwei Entwicklungen gleichzeitig. Zum ersten von der Demografie: Immer mehr Menschen ziehen aus den dünnbesiedelten Landstrichen in Norddeutschland weg. Die Dörfer sterben im wahrsten Sinne des Wortes aus. In Mecklenburg-Vorpommern ist mancherorts ein halbwegs erhaltenes Häuschen mit großem Garten für unter 30.000 Euro zu bekommen. Für 50.000 Euro bekommt man sogar ein Haus mit Scheune und kann als Ziegenwirt durchstarten.

Zum zweiten sind die Zinsen für eine Baufinanzierung auf einem historisch niedrigen Stand. Die besten Angebote für eine Finanzierung über zwanzig Jahre liegen nach einem aktuellen Test von Finanztest bei einem Zinssatz von unter 3 Prozent.

Es ist der Markt, der den Ausstiegswilligen nützt. Weil viele junge Leute vom Land in die Stadt drängen, gibt es kaum Konkurrenz um die alten Häuser in den Dörfern. Es lohnt sich, an Wochenenden übers Land zu fahren, in den auserkorenen Dörfern zu fragen, die Schaufenster der dortigen Banken und Sparkassen anzusehen und Versteigerungskataloge und Zwangsversteigerungstermine der Gerichte im Auge zu behalten. Weil die Europäische Zentralbank Unmengen preiswertes Geld zur Verfügung stellt und Hausbesitzer so ungefähr die zuverlässigsten Schuldner sind, die ein Bankier sich nur vorstellen kann, profitieren selbst die Aussteiger vom Zinstief.

Ganz wichtig: Als Vermögensbildung ist das Projekt Ausstieg trotzdem denkbar ungeeignet. Wenn man es sich nach zehn Jahren anders überlegt, dem nächstliegenden Baumarkt die Freundschaft kündigt, hat man in das alte Häuschen neben dem ursprünglichen Kaufpreis oft auch ziemlich viele Arbeitswochenenden und eine Menge Liebe gesteckt. Allein die ganze Mühe und die schönen Ideen als Hobbyinnenarchitekt machen sich nur sehr selten bezahlt.

Aber vielleicht erweist sich das Haus ja als umgesetzter Lebenstraum, vielleicht bleibt der Arbeitsplatz als einer der wenigen vor Ort erhalten, selbst wenn die Kreisstadt künftig hundert Kilometer entfernt ist.

Vielleicht bleibt die Bahnlinie in die Metropole intakt oder der Arbeitgeber sucht tatsächlich einen furchtbar entspannten Einzelkämpfer, für den er keinen teuren Büroarbeitsplatz vorhalten muss.

Einmal wärmegedämmt, ist so ein Haus mit Garten als Lebensmittelpunkt jedenfalls ökologisch korrekt. Aber eben nur, wenn das Haus da draußen nicht parallel die Zahl der Autokilometer von 0 auf 25.000 Kilometer befördert. Denn eines bringt die Landflucht der vielen für die wenigen mit sich: Der Zwang zum Auto steigt.

Der Autor ist Chefredakteur von Finanztest Foto: Karsten Thielker