in der taz vor 23 jahren: „querspalte“ von klaus hartung über die „zeit“ und die jugendarbeitslosigkeit
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Auf dem Hamburger Jungfernstieg sitzt ein feister Anzugmensch mit einem etwas verkrampften Gesicht auf einem Stuhl. Zu seinen Füßen kniet ein Langhaariger von der Turnschuhfraktion. Er putzt ihm die Schuhe. Daneben ein Schild: „2 Schuhe, 1 Mark“. Das ZEIT-magazin veröffentlichte das Foto. Zitat aus dem Bildtext: „Mag es auf dem Arbeitsmarkt noch so trostlos aussehen – die Bereitschaft zur Dienstleistung macht sich allemal bezahlt.“

Recht hat die ZEIT. Das Thema Jugendarbeitslosigkeit hat in der Öffentlichkeit einen viel zu tragischen Tonfall bekommen, wo uns doch die Kofferträger fehlen. Wir tun so, als ob das Recht auf Beruf und Ausbildung garantiert sei. Die Dritte Welt kommt doch schon immer ohne diese Garantie aus. In der Bundesrepublik läßt man die Jugend in den Fluren und Vorzimmern staatlicher Behörden warten, wiewohl die Straße frei ist für gute Einfälle.

Die Zeit ist allmählich vorbei, wo linke Touristen ihren ambivalenten Gefühlen aus südlichen Ländern nachsinnen und sich ernst mit der Frage beschäftigen konnten, ob Rikschafahren oder Schuhputzen mit der Menschenwürde vereinbar sei. Dieser säuberliche Begriff der Menschenwürde war immer ein Privileg, zuerst das der 1. Welt und nun der Privilegierten der 1. Welt. Festbeamtete Lehrer können sich noch die Solidarität mit der 3. Welt leisten. Die anderen werden von ihr zu lernen haben.

Das Überleben muß gelernt werden. Die 3. Welt rückt heran, nicht nur mit Menschen, sondern auch mit ihrer Kultur des Überlebens. Der Sozialstaat war, wie es sich längst herausgestellt hat, nicht für Tamilen und Pakistani gedacht. Aber er reicht ohnehin nicht für alle. Die ZEIT hat durch ihren einfallsreichen Reporter feststellen lassen, daß Kunden Schuhputzer suchen. Benissimo, es lebe die Zeit, in der Schuhputzer Kunden suchen.

(taz, 21. 5. 1982)