Kopftuch behindert Bibelkenntnis nicht

Bremer Gericht erlaubt muslimischer Referendarin, das Fach „Biblische Geschichte“ zu unterrichten. Obwohl SPD und CDU in dem Stadtstaat ein Kopftuchverbot befürworten, konnten sich die beiden Koalitionspartner bislang nicht auf ein Gesetz einigen

AUS BREMEN SUSANNE GIEFFERS

Die Geschichte ist schon sehr bremisch. Weil im kleinsten Bundesland jeder eine andere Vorstellung davon hat, wie mit Kopftuch tragenden Lehrerinnen umzugehen sei, gibt es in Bremen kein Gesetz – und folgerichtig fliegt der allererste Praxisfall dem Bildungssenator um die Ohren. Eine muslimische Lehramtsstudentin, die mit Kopftuch Religionskunde unterrichten will, muss zum Referendariat zugelassen werden. Das hat jetzt das Bremer Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren entschieden.

Bildungssenator Willi Lemke (SPD) hatte die Muslimin nur ohne Kopftuch zum Referendariat zulassen wollen. Die 29-Jährige aber bestand auf dem Tuch als Bekleidungsregel, die ihre Religion ihr vorschreibe, und hat nun Recht bekommen. Das Bildungsressort wird voraussichtlich Beschwerde einlegen.

Nach dem Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts vor knapp zwei Jahren war der Bildungssenator vorgeprescht und hatte ein Kopftuchverbot angekündigt. Sehr zum Missfallen von Bürgermeister Henning Scherf und der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Die hatten sich auf eine Einzelfallprüfung verständigt. Die Schulen sollten individuell für oder gegen die Bewerberin entscheiden können.

Dieser Vorschlag, in Bremen schon als „bundesweit richtungweisend“ gefeiert, wurde von einem SPD-Landesparteitag gekippt. Die Delegierten verlangten ein generelles Verbot aller religiösen Symbole in Schulen. Die CDU ist ebenfalls für ein solches Verbot, allerdings sollen christliche Symbole davon ausgenommen sein. Es passierte, was in Bremen bei derlei großkoalitionären Konflikten passiert: gar nichts.

Eine weitere Bremer Spezialität: das Schulfach Religionskunde. Es trägt in der Hansestadt den Namen „Biblischer Geschichtsunterricht“ (BGU) und ist laut Landesverfassung ein „bekenntnismäßig nicht gebundener Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“. Mit dieser im Grundgesetz festgeschriebenen „Bremer Klausel“ konnte Bremen anders als der Rest der Republik die Kirchen aus der Schule heraushalten. Derzeit studieren vier Muslime das Fach BGU. In Bremen, so die bisherige Praxis, wurde kein BGU-Lehrer nach seiner Religionszugehörigkeit gefragt. Bis jetzt, als die erste Muslimin ihr Referendariat in dem Fach antreten wollte.

Als Willi Lemke die Bewerbung ablehnte, berief er sich auf ein Gutachten des Erlanger Kirchenrechtlers Christoph Link. Nach dessen Ansicht kann das Fach BGU nur von Christen unterrichtet werden. Die „christliche Grundlegung“ des Unterrichts verbiete den Einsatz von Lehrkräften, „die einer anderen Religion angehören“.

Das sieht das Verwaltungsgericht anders. Kennzeichnend für den Unterricht nach bremischem Muster sei, dass er „vom Staat selbst und nicht von den Religionsgemeinschaften angeboten und verantwortet wird“. Der Staat müsse Religionsgemeinschaften gleich behandeln und dürfe sich mit keiner identifizieren.

Das Christentum gelte im Fach BGU zwar als „prägender Kultur- und Bildungsfaktor“, dürfe aber nicht „im Bezug auf bestimmte Glaubenswahrheiten und Bekenntnisse zum Unterrichtsgegenstand gemacht werden“. Für die Muslimin gelte das, was für alle Menschen in Deutschland gilt: der Grundgesetz festgeschriebene Schutz der Glaubensfreiheit.

Nach der Entscheidung ging es gestern in Bremen ungewohnt hektisch zu. Der Streit dürfe nicht auf dem Rücken der Betroffenen geführt werden, erklärte die SPD. Sie will gemeinsam mit der CDU ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das alle religiösen Symbole in der Schule verbietet. Der nächste Streit ist vorprogrammiert. Die CDU denkt ans christliche Kreuz – und möchte die „zurückhaltende Verwendung“ religiöser Symbole vom geplanten Verbot ausnehmen.