Nur ein wenig übertreiben

FANTASY FILMFEST Psychopathen, unfassbar politisch unkorrekte Agenten und traurige Klassenkämpfer: Auch in diesem Jahr präsentiert sich das Fantasy Filmfest als Plattform für exzentrische Filme jenseits des Mainstreams

„Nicht alle Nazis waren in der SS. Das darf man nicht verallgemeinern“, sagt Agent Hubert de La Bath

VON ANDREAS RESCH

Michael Gordon Peterson, besser bekannt unter seinem Kampfnamen Charlie Bronson, ist einer der berühmtesten Kriminellen Großbritanniens. Ursprünglich im Alter von neunzehn zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, gelang es dem bulligen Schnauzbartträger durch ein Auftreten, das sich am ehesten mit dem eines tollwütigen Kampfhundes vergleichen lässt, diese Strafe auf eindrucksvolle dreißig Jahre auszuweiten. Die meisten davon verbrachte er in Einzelhaft in mehr als 120 Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten.

„Bronson“, Nicolas Winding Refns fast schon schmerzhaft unsentimentale Verfilmung von Petersons Leben, ist ein Faustschlag ins Gesicht eines jeden Dramaturgen, der behauptet, dass eine Figur im Verlauf einer Geschichte eine Wandlung vollziehen muss. Von Anfang bis Ende ist Refns Protagonist ein brutaler, dumpfer Antiheld, mit dem verglichen einem selbst Trainspotting-Prolet Francis Begby –„You sorry enough for being a fat fucking cunt?“ – wie ein veritabler Charmebolzen erscheinen muss. Weshalb der Film trotz exzentrischer Inszenierung mit der Zeit ein wenig ermüdet.

Kannibalinnen inbegriffen

Zu sehen ist „Bronson“ auf dem 23. Fantasy Filmfest, auf dem von heute an bis zum 26. August in Berlin mehr als siebzig Filme aus den unterschiedlichsten Genres gezeigt werden, darunter natürlich auch zahlreiche Horror- und Science-Fiction-Filme. Etwa „Doghouse“, eine britische Geschlechterkampf-Horrorkomödie um sechs Männer, die in ein Dorf voller Zombie-Kannibalinnen geraten, oder „District 9“, wo Aliens in einem ein wenig an Guantanamo erinnernden Lager von der Erdbevölkerung separiert werden.

Ein absolutes Highlight für Fans von Genreparodien ist „OSS 117 – Lost in Rio“ um den Agenten Hubert Bonisseur de La Bath – ursprünglich eine durchaus unironisch gemeinte Romanfigur des französischen Schriftstellers Jean Bruce. Gleichermaßen an Peter Sellers Inspektor Clouseau wie an Leslie Nielsens Lieutenant Frank Drebin geschult, ist de La Bath ein unfassbar politisch unkorrekter James Bond-Verschnitt. Ein ebenso sexistischer wie rassistischer Antisemit, dem es absurd erscheint, dass es in Frankreich Nazi-Kollaborateure gegeben haben soll und der Sätze wie „Die Welt verändern, was für eine seltsame Idee“ oder „Nicht alle Nazis waren in der SS. Das darf man nicht verallgemeinern“ von sich gibt.

Plötzlicher Schwindel

Was „OSS 117 – Lost in Rio“ zu einem solch unterhaltsamen Filmerlebnis macht, ist die Detailbesessenheit, mit der sich Regisseur Michel Hazanavicius daran gemacht haben, den Stil des Sechzigerjahre-Agentenkinos zu imitieren. Von den zuckersüß dahinblubbernden Easy-Listening-Klängen über Frisuren, Kostüme bis hin zur Farbgebung stimmt einfach alles.

An Mike Myers’ „Austin Powers“-Trilogie erinnert die Strategie, Situationen durch bloße zeitliche Überdehnung umkippen zu lassen. Ein Höhepunkt dieser die Sehgewohnheiten ironisch durchkreuzenden Technik ist de La Baths nicht enden wollender Gang zum Sprungturm am Hotelpool in Rio. In aller Ausführlichkeit sieht man die bewundernden Blicke der schönen Frauen am Beckenrand, das strahlende Blau des Pools, die wilde Entschlossenheit in de La Baths Blick, die split screens, in denen all das gleichzeitig eingefangen wird. Doch dann wird der Agent im letzten Moment von einem Schwindelgefühl erfasst und muss den Sprungturm wieder verlassen – als hätte ihn die derart aufgeblähte Erwartungshaltung letztendlich selbst überwältigt.

Vom Erzählton her in größtmöglichem Gegensatz zum wilden Klamauk von „OSS 117“ steht „Bloedbroeders“, ein niederländischer Film des belgischen Regisseurs Arno Dierickx, der nach einer wahren Begebenheit die Geschichte einer tragischen Freundschaft im Holland des Jahres 1960 erzählt. Was Thematik, Erzählton und dramatische Intensität betrifft, erinnert Dierickx’ Film ein wenig an Peter Jacksons „Heavenly Creatures“. Simon, ein sensibler Junge aus armen, aber liebevollen Verhältnissen, freundet sich mit seinem elitären Klassenkameraden Arnout und dessen jüngerem Bruder Victor an.

Düsteres Kammerspiel

Als Simons Bekannter Ronny auf der Flucht vor der Polizei und seinem prügelnden Vater auf dem Dachboden der Brüder auftaucht, instrumentalisieren diese ihn in ihrem Versuch, Ronny wieder loszuwerden. Dierickx’ Kunst besteht darin, ein anfangs flockig-leichtes Sommerstück zunächst unmerklich, dann immer drastischer zu einem düster-grausamen Kammerspiel auf Leben und Tod zu verdichten, zu einer fast schon Brecht’schen Parabel über die gesellschaftlichen Verhältnisse, in der jede Klasse ihre eigenen Strategien verfolgt. Derjenige, der auf die Solidarität der anderen baut, ist schlussendlich erledigt.

Wenn Ronny, der mehr und mehr den sadistischen Ausbrüchen seiner vermeintlichen Helfer ausgeliefert ist, aus seinem Dachfenster blickt und den anderen beim Tennisspiel im Garten zusieht, ist es, als würde er aus einem Gefängnis auf die Welt hinabschauen. Einem Gefängnis, aus dem es, das wird bald immer deutlicher erkennbar, kein Entkommen geben wird.

■ Fantasy Filmfest, bis 26. August in den Kinos Cinemaxx und CineStar am Potsdamer Platz. Eintritt 8 Euro. Programm unter www. fantasyfilmfest.com