Harte Urteile sollen Randalierer schocken

GERICHT Der Innensenator und die Justiz wollen mit drastischen Strafen 1.-Mai-Vandalen und Autobrandstifter abschrecken. Linke und Anwälte kritisieren das als unverhältnismäßig, ein FU-Jurist nennt es „problematisch“

■ 173 Brandanschläge auf Autos zählte die Polizei bisher 2009. 224 Fahrzeuge wurden direkt angegriffen, 43 zusätzlich durch überschlagende Flammen beschädigt.

■ Im gesamten Vorjahr gab es nur 73 Brandattacken. Seit 2005 brannten damit mehr als 1.000 Autos in Berlin. KO

VON KONRAD LITSCHKO

Abschreckung. Das ist offenbar das neue Allheilmittel des Innensenators und der Justiz gegen vermeintliche linke Straftäter. 1.-Mai-Randalierer werden in diesen Tagen vor Gericht so hart bestraft wie selten. Vier festgenommenen mutmaßlichen Autobrandstiftern droht die Justiz hohe Haftstrafen an. Begründung: „generalpräventive Maßnahmen“ – Abschreckung.

Es ist Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der den Ton dabei vorgibt: „Die Berliner Justiz urteilt bei 1.-Mai-Straftätern deutlich strenger. Das ist zu begrüßen.“ Es müsse klar werden, dass Flaschen- und Steinwürfe keine harmlosen Kavaliersdelikte seien. Er hoffe, so Körting zur taz, dass die Justiz auch bei den gefassten Autobrandstiftern „den Weg der 1.-Mai-Urteile fortsetzt“.

Erst vor einer Woche wurde ein 26-Jähriger vor allem deshalb zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt, weil er in der Walpurgnisnacht 12 Flaschen auf Polizisten geworfen hatte. Bereits Ende Juni erhielt ein 30-Jähriger eine Haftstrafe von gut drei Jahren für 17 Stein- und einen Flaschenwurf am 1. Mai. Zuletzt wurde Anfang August ein 27-jähriger Flaschenwerfer zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt – auch als „deutliches Zeichen an jene, die meinen, sie hätten an diesem Tag einen Freibrief“, wie es im Urteil heißt.

Gleiches droht nun den 11 bisher gefassten Autobrandstiftern, von denen 4 in U-Haft sitzen. Im Fall der 21-jährigen Alexandra R. wird diese mit Fluchtgefahr begründet angesichts einer zu erwartenden „mehrjährigen Freiheitsstrafe“. Im Haftbefehl heißt es: Die Häufung der Brandstiftungen mache „aus generalpräventiven Gründen im Falle einer Verurteilung die Verhängung einer abschreckenden Wirkung bedingenden hohen Freiheitsstrafe erforderlich“. Die „gravierende Straferwartung“ sei „aus der hohen Sozialschädlichkeit und des beabsichtigten hohen Schadens der Tat“ gegeben.

Als Abschaffung der Unschuldsvermutung und „Einführung des Feindstrafrechts“ kritisiert dies die zur Unterstützung von Alexandra R. gegründete „Soligruppe Alex“. „Die Polizei kriegt die Brandstiftungen nicht in den Griff und sucht nach Sündenböcken“, beschwert sich Patrick Technau von der Soligruppe. Es gehe darum, „mit juristisch zweifelhaften Festnahmen Ergebnisse zu präsentieren“.

Von einer „extremen Vorverurteilung“ spricht auch die „Berliner Anti Nato Gruppe“, in der Alexandra R. Mitglied ist. „Nach Lage der Dinge schätzen wir die Chancen von Alexandra für einen unvoreingenommenen Prozess als sehr schlecht ein“, heißt es in einem Schreiben.

„Die Unschuldsvermutung gilt auch für Personen in Untersuchungshaft“

RECHTSPROFESSOR KLAUS ROGALL

Auch Martina Arndt, Anwältin von R., kritisiert das Vorgehen gegen ihre Mandantin als „unverhältnismäßig“. „Es gibt nur Indizien, keine Beweise“, so Arndt. Weder seien Rückstände von Brandbeschleunigern an R.s Kleidung gefunden worden noch ihre DNA-Spuren am Tatort. Alles beruhe auf der Aussage eines Polizisten, der die 21-Jährige in Tatortnähe gesehen haben will. Auch das wichtigste Indiz der Anklage weist Arndt zurück: Die Polizei hatte einen Sprühdosenkopf in der Wohnung von Alexandra R. gefunden – passend zu am Tatort aufgefundene Sprühdosen. Ein Gutachten habe keine Hinweise gefunden, dass der Sprühkopf je mit den anderen Dosen verbunden war, so Arndt. „Ich werde in jedem Fall auf Freispruch verteidigen.“

Auch Klaus Rogall, Professor für Strafrecht an der Freien Universität, sieht die Begründung einer U-Haft mit einem zu erwartenden hohen, weil „generalpräventiven“ Urteil, als „problematisch“. „Auch für eine Person in Untersuchungshaft gilt die Unschuldsvermutung“, so Rogall. Eine Strafzumessung dürfe erst am Prozessende nach erwiesener Schuld erfolgen – und nicht bereits zuvor. Dennoch werde das Vorgehen der Berliner Justiz „von der juristisch herrschenden Meinung akzeptiert“. Kritikwürdig sei aber die lange Dauer der U-Haft von R. „Nach drei Monaten sollte man allmählich zu Potte kommen“, so Rogall.

Innensenator Körting setzt dennoch auf hohe Haftstrafen für die Autobrandstifter –„im Rahmen des Strafgesetzes“. Im Fall der 1.-Mai-Prozesse seien die nun ergangenen, teils harten Urteile „hervorragende Propaganda“ gegen mögliche Krawallmacher im nächsten Jahr, so Körting.