Hauptsache, es dient der Sicherheit

Der „Grundrechtereport 2005“ prangert an: Im Anti-Terror-Kampf werden zunehmend Bürgerrechte geopfert

BERLIN taz ■ Für Bürgerrechtler ist es eigentlich längst keine Neuigkeit mehr: Seit dem 11. September 2001 werden auch in Deutschland zusehends Grundrechte im Namen der Sicherheit beschnitten. Dennoch zeigt sich der Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Heiner Bielefeldt, alarmiert. Seine Bilanz: Im vergangenen Jahr habe sich die brisante Entwicklung nochmals verschärft.

„Was nicht mehr in Frage gestellt werden darf, wird wieder in Frage gestellt: das Folterverbot etwa“, warnte Bielefeldt gestern bei der Vorstellung des „Grundrechtereports 2005“ in Berlin. Vor kurzem noch sei es undenkbar gewesen, dass Folter in Deutschland zum Thema einer innenpolitischen Debatte werden könnte: „Da hat eine dramatische Verschiebung von Maßstäben stattgefunden.“ Eine Verschiebung, die für Bielefeldt weit über den viel diskutierten Fall Daschner hinausgeht: Der Frankfurter Polizeivizepräsident hatte dem Mörder von Jakob von Metzler Gewalt angedroht, sollte er den Aufenthaltsort des entführten Jungen nicht nennen.

Folter sei diskutabel geworden, „dabei wird hier die Würde des Menschen nicht nur missachtet, sie wird negiert“, sagte Bielefeldt. Der Menschenrechtler beobachtet diese Entwicklung seit den Terroranschlägen in Washington und New York. Er spricht von einer „Wurstigkeit im Umgang mit Grundrechten“ und führt dies darauf zurück, dass heute sicherheits- und wirtschaftspolitische Interessen den Stellenwert der Grundrechte überlagern.

Der nunmehr neunte „Grundrechtereport 2005“ versteht sich als eine Art alternativer Verfassungsschutzbericht. Er dokumentiert an Beispielen Verstöße gegen die im Grundgesetz garantierten Rechte. Herausgegeben wird das Dokument von inzwischen neun Bürgerrechtsorganisationen, darunter die Humanistische Union und Pro Asyl.

Für Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, das den Report ebenfalls mit herausgibt, zeigt sich die Dominanz der Sicherheitspolitik besonders deutlich am neuen Luftsicherheitsgesetz. Dieses erlaubt in letzter Konsequenz den Abschuss entführter Passagierflugzeuge, um andere Menschen zu retten. „Da werden Menschenleben gegeneinander abgewogen“, sagte Steven. Mit dem Grundgesetz sei das nicht vereinbar, schließlich habe jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Mit solchen Gesetzen sei der Schutz der Menschenwürde nicht mehr absolut.

Der Grundrechtereport arbeitet ohne Zahlen. „Wir wissen nicht, wie viele Grundrechtsverletzungen stattgefunden haben“, sagte Elke Steven. Schließlich würden der Organisation nicht alle Fälle gemeldet. Doch ums Zählen geht es den Bürgerrechtlern auch gar nicht. Der Report ist vielmehr eine Sammlung von Einzelfällen und Analysen. Angeprangert werden unter anderem auch der Schnüffel-Chip im Einkaufskorb, die zunehmende Einschränkung sozialer Grundrechte durch Hartz IV, der Brechmitteleinsatz bei mutmaßlichen Drogendealern, das Kopftuchverbot für Lehrerinnen und die pauschale Briefkontrolle in Gefängnissen.

MADLEN OTTENSCHLÄGER