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Nur zu Besuch

Mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis wurden am 14. November Reportagen aus Ostdeutschland ausgezeichnet. Produziert wurden die allerdings allesamt von Westdeutschen. Und das sieht man den Filmen auch an

Zwei Besserwessis im Osten: Lutz van der Horst (links) und Fabian Köster schlendern durch Görlitz Foto: Igor Hartmann/ZDF

Von Alexander Teske

Der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ist einer der renommiertesten deutschen Medienpreise. In diesem Jahr geht er an Eva Schulz und Jan Lorenzen. Am Donnerstagabend wurde er ihnen in Hamburg feierlich verliehen. Den Sonderpreis erhalten Fabian Köster und Lutz van der Horst von der „heute show“ für „Zwei Besserwessis im Osten“. Alle Preisträger eint: Sie haben Filme über Ostdeutschland gedreht. Und: Alle vier sind Westdeutsche. Den Filmen sieht man das an. Sie zeichnen ein einseitiges Bild und zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der Realität. Der Jury unter dem Vorsitz von Sandra Maischberger fiel das nicht auf. Vielleicht, weil unter 43 Mitgliedern nur eine Ostdeutsche ist.

Es beginnt schon bei den Filmtiteln. „Die große Angst“ lautet einer. Unterzeile: „Zukunft in Ostdeutschland?“ Als ob es eine Option ist, keine zu haben. Getextet wird zu Untergangsmusik gern im Konjunktiv: „Wenn so was jetzt in Thüringen und Sachsen auch einträfe, dann wäre das eine Katastrophe.“ Und ein Geschäftsführer sagt: „Wenn die AfD die Regierung stellen würde, das wäre für das Land der Untergang.“

Autor ist der Hamburger Jan Lorenzen. Seine Interviewpartner: Die Westberliner Punkband Beatsteaks, die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhardt, der Münchner Maximilian Steinbeis und der Bamberger Basketballtrainer Florian Gut. „Lokale Stimmen“ kämen „zu Wort“, heißt es in der Begründung der Jury für die Preiswürdigkeit der Doku. Die „gesellschaftliche Spaltung im Osten Deutschlands“ werde gezeigt, „ohne sich dabei gängiger Klischees zu bedienen“.

Ausführlich behandelt die Doku Ereignisse der Vergangenheit: „Eine Welle rechtsextremistischer Gewalt. Sie rollt in den 1990er Jahren durch die neuen Bundesländer und hat die Atmosphäre in vielen ostdeutschen Städten und Dörfern bestimmt.“ Von einer „kollektiven Erfahrung einer Generation“ ist zum Bild des Wurfs eines Molotowcocktails die Rede. Der Autor hat in den 90ern in Sachsen gelebt und hält das für übertrieben. Der Soziologe Matthias Quent sagt: „Teilweise sind die Schläger von damals jetzt die Kommunalabgeordneten der AfD in den Parlamenten.“ Das ist möglich. Aber in dieser Klarheit neu. Doch auf eine Nachfrage, ob es Namen dazu gibt, reagiert der Professor der Uni Magdeburg-Stendal leider nicht.

Weiter behauptet der Kommentar: „Gehen oder bleiben? Das war die Frage damals, das ist die Frage heute.“ Es wird der Eindruck erweckt, viele Ostdeutsche hätten ihre Heimat aufgrund der Gewalt verlassen – und nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Auch beim Lehrermangel wird ein Zusammenhang zum politischen Klima gezogen. Ohnehin wird alles in einen Topf geworfen, findet kaum eine Unterscheidung zwischen AfD-Wählern und Nazi-Schlägern statt.

Das ZDF hat Eva Schulz auf Expedition geschickt. Sie wurde 1990 in NRW geboren. In einem Interview für das RND bekennt Schulz auf die Frage, wie es war, „die Stimmung in Ostdeutschland einzufangen“: „Es war eine steile Lernkurve für mich.“ Das ist eine schöne Umschreibung für: Ich hatte keine Ahnung.

Teil 1 des Roadtrips heißt: „Was Thüringen wirklich über Höcke denkt.“ Ein Film über Thüringen ohne den hessischen Geschichtslehrer scheint unvorstellbar. „Wird Björn Höcke bald Ministerpräsident in Thüringen?“, raunt Schulz. Einen Organisator eines antifaschistischen Musikfestivals fragt sie: „Wählen die diese Partei wegen Höcke oder trotz Höcke?“ Antwort: „Es sind wirklich solche kleinen Führergedanken“ Die Frage ist berechtigt. Nur wäre sie an einen Parteienforscher zielführender adressiert.

Folge 2 heißt: „Wie Sachsen zerreißt“. Schulz sitzt viel im Studio und reiht Behauptungen aneinander: „Das politische Klima ist in den letzten Jahren merklich rauer geworden.“ Andersdenkende „leben in Sachsen besonders gefährlich.“ Oder: „Immer wieder ist es Sachsen, wo Proteste besonders heftig sind.“ Dazu läuft eine Frau mit einer Fahne mit Friedenstaube durch das Bild. Schulz sieht „so viel Hass und Misstrauen“ und „die Gesellschaft“ sei gespalten: „Ein Bundesland, das beispielhaft für diese Entwicklung steht, ist Sachsen.“ Das hat sie in Folge 1 über Thüringen auch schon gefragt: „Warum ist ausgerechnet dieses Bundesland so gespalten?“

Auch Begrifflichkeiten bleiben nebulös: „Sind sie rechts?“, fragt Schulz einen Mann auf einer AfD-Demo in Thüringen. Und in der Sachsenfolge heißt es, man habe „jemanden gefunden“, „der sich selbst rechts verortet“. Was ist mit rechts gemeint? Rechtsradikal? Konservativ?

Der Chemnitzer Stadtteil Sonneberg wird im Film als „Mischung aus Nazi-Zone und Migra-Kiez“ bezeichnet. Wie viele Chemnitzer werden wissen, was gemeint ist und sich wiedererkennen? Dann behauptet der Journalist Martin Debes: „Die Angst, Status und Wohlstand zu verlieren, ist in Ostdeutschland besonders ausgeprägt.“ Kann man nicht nur etwas verlieren, was man auch besitzt?

Auf der Internetseite des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises prangt das dem Namensgeber zugeschriebene Zitat: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Eva Schulz bietet dreimal 30 Minuten Anschauungsunterricht des Gegenteils.

Den einen bringt sie Baklava, Offenheit und Fröhlichkeit mit. Den anderen Vorurteile, Belehrungen und Misstrauen. Von journalistischer Distanz ist im „Internationalen Zentrum für Demokratie und Aktion“ in Chemnitz, nichts zu spüren. Suggestivfrage an die Vorsitzende Fatima Majed: „Würdest du sagen, die deutsche Gesellschaft ist gut darin, sich in Leute hineinzuversetzen, die anders sind?“ Antwort: „Nein.“ Gleiches Spiel beim „Rock am Berg“ im südthüringischen Merkers: gemeinsames Rauchen, Lachen und Grillen. Bei der Freiwilligen Feuerwehr in Fredersdorf macht Schulz gleich bei der Löschübung mit. Dann fragt sie: „Man sagt ja manchmal auch, dass solche Vereine, Ehrenamtliche oder auch Kirchen, Parteien, so der Kitt der Gesellschaft sind. Würdest du das auch so sehen?“ Reaktion des Feuerwehrmanns: „Auf jeden Fall“ Anderen Protagonisten widerspricht Schulz dagegen, zuvor wurden deren Social-Media-Accounts geprüft. Ihre Abneigung ist spürbar. Auf einer AfD-Wahlveranstaltung sieht man Schulz in Nahaufnahme mit besorgter Miene.

Der Jury unter dem Vorsitz von Sandra Maisch-berger fiel nichts auf. Vielleicht ja, weil unter 43 Mitgliedern nur eine Ostdeutsche ist

Teil 3 behandelt Brandenburg. Hier herrsche „so ein richtiger Abwärtsstrudel“. Und: „In Eisenhüttenstadt sieht es wirklich fast noch genauso aus wie vor der Wende.“ Schulz macht ein entsetztes Gesicht und stellt fest: „Aber geboten wird hier eher wenig.“ Bevor sie fragt: „Warum hauen dann trotzdem alle ab?“ Für die Jury ist der Film ein Beitrag „zum kritischen Fernsehjournalismus“. Die Auszeichnungen mit 2.500 Euro versteht die Jury „als Statement für Qualitätsjournalismus“.

53 Journalisten haben den Hanns-Joachim-Friedrichs–Hauptpreis bisher erhalten. Von Ina Ruck und Anja Reschke über Oliver Welke und Denis Scheck bis zu Claus Kleber und Anne Will. Maybrit Illner war die einzige Ostdeutsche. Vor 24 Jahren. Auf Nachfrage sagt der stellvertretende Vorsitzende Mathias Werth: „Wenn im Journalismus Leute mit Ostbiografie fehlen, dann müsste diesem Probleme von den Sendern begegnet werden. Dort fallen diese Entscheidungen.“

Bei anderen deutschen Medien­preisen sieht es ähnlich aus: ostdeutsche Journalisten werden sehr spärlich hervorgehoben, sie sitzen selten in der Jury. Ab und zu werden allerdings Werke über den Osten geehrt. Westdeutsche Redakteure berichten dann einem westdeutschen Publikum und werden dafür von westdeutschen Juroren ausgezeichnet.

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