Eine radikale Literarisierung von Ballett

Mit der Verpflichtung der Choreografin Amanda Miller und ihrem Ensemble „pretty ugly tanz Köln“ hat die Tanzmisere in der Rheinmetropole ein Ende. Ihr Debüt „Oberon‘s Flower – Who do you Love?“ zieht Fingergymnastik den großen Sprüngen vor

VON HOLGER MÖHLMANN

Märchen werden selten wahr, aber manchmal geschieht auch in der Realität Erstaunliches. Was kaum noch jemand für möglich gehalten hätte, ist jetzt passiert: Köln hat wieder eine eigene Tanzcompany. Zehn Jahre nach dem Ende des Tanzforums und dem Weggang von Jochen Ulrich tritt mit Amanda Miller eine neue Choreographin an, die durch Gastspiele notdürftig bemäntelte Tanzmisere der Bühnen Köln zu beenden und der Domstadt wieder tänzerisches Profil zu verleihen.

Dass dies im Zeitalter ewiger Etatkürzungen überhaupt möglich ist, bezeichnet die Intendanz als „ein kleines Theaterwunder“, und ganz danach sieht es tatsächlich aus. Zehn Jahre lang haben die Mitglieder des Vereins KunstSalon e.V. bei Kölner Kulturpolitikern konsequent gegen das Verschwinden des Bühnentanzes protestiert, haben nach Wegen aus der Ballettabstinenz gesucht und schließlich die Imhoff-Stiftung für ihr Anliegen gewonnen. Diese finanziert denn auch – zusammen mit den Bühnen Köln, der Stiftung KunstSalon und dem Land NRW – Amanda Millers Engagement, zunächst einmal für vier Jahre.

Die neue Kölner Haus-Choreografin ist keine Unbekannte. 1961 im US-Bundesstaat North Carolina geboren, studierte Amanda Miller in New York und tanzte im Chicago Lyrical Opera Ballet sowie an der Deutschen Oper Berlin. Seit 1984 festes Ensemblemitglied in William Forsythes Ballett Frankfurt, gründete sie 1992 ihre eigene Truppe, die Pretty Ugly Dancecompany, die von 1997 bis 2004 am Freiburger Theater engagiert war und ab jetzt unter dem Namen pretty ugly tanz köln den Städtischen Bühnen der Rheinmetropole angegliedert ist.

Für die kommende Spielzeit plant Amanda Miller mehrere Uraufführungen, bis dahin stellt sie sich ihrem neuen Publikum mit einigen ihrer bisherigen Arbeiten vor. Für Ende Mai und Anfang Juni ist in der Halle Kalk ein Abend mit Choreografien aus den Jahren 1987 bis 1997 geplant. Ihr Kölner Debüt feierte die Pretty Ugly Dancecompany am letzten Freitag im Schauspielhaus mit der Produktion „Oberon‘s Flower – Who do you love?“

„Oberon‘s Flower“ (2002) ist Amanda Millers Auseinandersetzung mit Shakespeares „Sommernachtstraum“. Ein Stück für acht TänzerInnen, eine Erzählerin und ein Soundkonzept aus sehr verhaltenen Musikstücken verschiedener zeitgenössischer KomponistInnen. Überhaupt kennzeichnen Minimalismus, Reduktion und eine fast schon meditative Ruhe diese Choreografie, die nicht das Komische, sondern das Traumverlorene und Geheimnisvolle in Shakespeares Notturno betont. Auf einer praktisch leeren Bühne, auf der nur wenige Requisiten wie einsame Gartenzwerge einen Märchenwald andeuten, tanzen sich Oberon und Titania zusammen mit den zwei Liebespaaren durch die Irrungen und Wirrungen der Liebe, verursacht durch den Saft einer Zauberblume. Immer mit dabei ist Schauspielerin Kate Strong, ein Buch in Händen und den „Midsummer Night‘s Dream“ auf den Lippen: Zu sehr sphärischer Chillout-Musik souffliert sie den Tanzenden Shakespeares Worte, flüstert ihnen die betörend schöne Sprache des Meisters ein, macht aus dem Ballett eine Lesung, aus der Performance eine Märchenstunde. Die TänzerInnen sprechen die Worte nach, übersetzen sie in andere Sprachen, auch in ihre Tanzsprache. Diese ist reduziert, dabei präzise im Kleinen, zieht akkurate, an indischen Tempeltanz erinnernde Fingergymnastik den großen Sprüngen vor. Der eine oder andere echte Pas de deux wirkt vor diesem Hintergrund dann umso stärker.

Ungewohnt ist sie, diese radikale Literarisierung von Ballett, irritierend dieses Primat des Wortes vor der Musik. Auch scheint der federleichte, ätherische Tanz, der das Schemenhafte und Flüchtige des nächtlichen Liebestraums beschwört, an manchen Stellen in der Wortmusik unterzugehen, ebenso wie die Kraft der Shakespeareschen Komödiensprache bisweilen an den allzu zarten Flüstertönen leidet. Gegen Ende der Choreografie schwebt eine asiatische Tuschzeichnung als Tableau auf die Bühne und wird zum ästhetischen Symbol: Die ganze Inszenierung ist eine Tuschzeichnung, etwas zart und fein Gemaltes, mit Bedacht Getuschtes, tiefgründelnd Verträumtes. Dem Premierenpublikum hat es gefallen. Minutenlang wurde Kölns „kleines Theaterwunder“ beklatscht. Einen ersten Eindruck von Amanda Miller und ihrer Arbeit gibt es nun – auf weitere darf man gespannt sein.

„Oberon‘s Flower – Who do you love?“, Schauspielhaus, Offenbachplatz, 26.05., 17./18.06., 20 Uhr „Pretty Ugly/Paralipomena/Four for Nothing“, Halle Kalk, Neuerburgstraße, 28./31.05., 02./03.06., jeweils 20 Uhr, Tickets: 0221-22128400