berliner szenen Traumpost (12)

Medien und Äpfel

Träume sind Schäume, sagt man, aber eigentlich gestalten sich Träume manchmal ähnlich direkt und moralisch wie ungeschriebene Regeln. Manchmal können sie sogar garstig sein. Zum Beispiel, indem sie null Komma null Prozent Spielraum lassen für mildere Interpretationen. Kürzlich erzählte mir eine Freundin, nennen wir sie Heike, etwas zu diesem Thema.

Ihr Selbstbewusstsein war wohl schon länger angegriffen, als sie endlich einsah, dass sie sich aus den Fängen eines aufsteigenden Fotografen lösen musste. Seine Entwicklungsflüssigkeiten waren ihm wichtiger als die Entwicklung zwischen ihnen, von Flüssigkeiten ganz zu schweigen. Sogleich träumte sie folgenden Traum, in dem sogar die Medien eingriffen: Es war schon wieder Morgen und Heike bereits wach; also holte sie die Zeitung. Der Aufmacher der Kulturseite war ein Interview mit dem regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der ihren Fotografen zum „European Artist of the Year“ ernannte. Grund für dessen innovatives Schaffen sei seine Unabhängigkeit und die Tatsache, dass er sich von zwei Dingen völlig gelöst habe: Vom Gestern, also seinem familiären Hintergrund, und vom Heute, also den momentanen zwischenmenschlichen Verflechtungen. Nur wer sich vom Gestern und vom Heute löse, könne ins Morgen aufbrechen. Abschließend meinte Wowereit: „Um es mit einem Bild zu sagen: Der Apfel muss weit vom Stamm fallen, damit ein neuer Baum draus werden kann, der nicht im Schatten eines anderen Baumes steht. Das müssen auch die Heikes dieser Welt begreifen.“

Entsetzt schlug Heike die Zeitung zusammen. Im selben Moment klingelte der Wecker. Es war Montag, und der Sommer nicht mehr weit. ELINA KRITZOKAT