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orte des wissensDa vorne steht dann keiner mehr

Der „Digital Learning Campus“ ist ein Netz aus Präsenz- und Online-Seminaren, das Schleswig-Holstein gerade aufbaut. Als Anker in der Offline-Welt gibt es in den Städten „Lernorte“ – zum Beispiel in einem einstigen Lübecker Kaufhaus

In dem ehemaligen Kaufhaus stehen drei Krankenbetten mit Überwachungsgeräten und Monitoren. Gleich daneben laden Studierende der Elek­trotechnik und Mechatronik ein, in ihrem Escape Room Technik-Rätsel zu lösen. Wer sich lieber in den Stuhlkreis des „Spatial Audio Lab“ der Musikhochschule setzt, kann die nächste Generation von Dolby Surround hören: ein Kreis aus Lautsprechern, die sich einzeln ansteuern lassen. Aus einem erklingt ein Regenschauer, aus einem eine Geige, dann ein Motorengeräusch. Auf der gleichen Etage des Kaufhauses, wo früher Damenjacken verkauft wurden, werden jetzt unter einer Kuppel 360-Grad-Filme gezeigt, und ReporterInnen des Offenen Kanals laden ein, bei der Produktion einer Radiosendung mitzumachen.

Das Kaufhaus war früher einmal eine Karstadt-Filiale im Stadtzentrum von Lübeck. Jetzt entsteht an dieser Stelle ein „Lernort“, an dem fünf Institutionen ab dem 8. November Zukunftstechnologien präsentieren werden. Das Kaufhaus heißt jetzt „Übergangshaus“ und wird seit einigen Monaten bespielt von der städtischen Marketing-Gesellschaft LTM. Sie hat als halb offene Abgrenzungen lila-orangene Bänder aufgehängt.

Neben den „Lernorten“, von denen die meisten noch im Bau sind, gibt es an Werktagen einen offenen Arbeitsraum, zwei Selbstbedienungscafés, ein Separee zum Stillen von Babys und Spielangebote für Kleinkinder: Die Rampe einer ehemaligen Rolltreppe ist jetzt eine Rutsche. Im Erdgeschoss steht eine kleine Bühne.

Was in Lübeck ein früheres Kaufhaus ist, ist in Kiel die Uni-Bibliothek, ein Kunstprojekt und eine Flotte mobiler Lastenfahrräder. Der „Lernort“ in Heide ist die Volkshochschule, und in Flensburg entsteht ein Netz offener „Fablab“-Labore.

Viele Städte und Regionen Schleswig-Holsteins arbeiten daran, offene Lernangebote zu entwickeln. Sie sollen möglichst viele Menschen in den „Digital Learning Campus“ (DLC) locken: Ein neues, kostenfreies Netzwerk aus Fortbildungen und Lernmodulen, die das Land vor Ort und im Internet gratis anbietet.

Die Angebote in Präsenz und im Netz greifen an vielen Stellen ineinander. So wird im Lübecker „Übergangshaus“ gleich neben dem Eingang ein Roboter im 3D-Druck Bauteile herstellen. Damit wirbt er für eine Fortbildung über Robotik, mit Zertifikat der TU Lübeck. Denn in Lübeck wurden die Inhalte dieser Kurse von den Universitäten entwickelt.

Das Konzept, Offline-Lernorte mit digitalen Kursen für alle anzubieten, stammt aus dem Kieler Bildungsministerium. Land und EU haben für die ersten fünf Jahre eine Anschubfinanzierung von 38 Millionen Euro spendiert. Dabei sollen die Hochschulen mit UnternehmerInnen aus dem Mittelstand kooperieren. Die sollen später auch die Finanzierung übernehmen, sagt der Lübecker Projektkoordinator Jochen Abke, Professor für Messtechnik an der TU Lübeck. Er glaubt, dass das klappt: „So bekommen die Unternehmen ja auch Fachkräfte.“

Viele Städte und Regionen Schleswig-Holsteins arbeiten daran, offene Lernangebote zu entwickeln

Entwickelt wurden die Formate des DLC in einem zweijährigen Beteiligungsprozess, erzählt der Leiter des Digital Learning Campus, Ronny Röwert. Bei den Treffen hätten SchülerInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft, kleiner Firmen und der Hochschulen ihre Visionen über das Lernen der Zukunft ausgetauscht. „Keiner von ihnen sah eine Person vorne stehen und etwas erzählen“, sagt Röwert.

Die Lernorte im ehemaligen Karstadt-Kaufhaus kamen diesen Visionen nahe. Röwert sieht in seiner Vision Fachkräfte, die sich über Robotik, KI am Krankenbett oder neue Medien fortbilden, und Schüler. „Ab 2026 gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule“, sagt er. „Dann werden solche Lernorte händeringend gesucht.“ Friederike Grabitz

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