Austern und Heuschrecken

Was auch immer heute auf der Hauptversammlung der Deutschen Börse AG passiert – man wird davon kaum etwas zu hören oder zu sehen kriegen, weil der Rundfunk wie so oft ausgesperrt wird

VON STEFFEN GRIMBERG

Hauptversammlungen börsennotierter Aktiengesellschaften bestechen häufig durch in dezentes Grau gewandete Langeweile: Die Geschäftszahlen sind längst veröffentlicht, es geht nur noch um die Formalia. Heute wird das garantiert anders: Bei der Hauptversammlung der Deutschen Börse AG fliegen nach dem Debakel um die gescheiterte Übernahme der Londoner Börse LSE die Fetzen. Doch sehen und hören wird man in den Medien davon nichts. Fast nichts.

Denn wie beinahe alle Aktiengesellschaften schließt auch die Deutsche Börse AG Radio, Fernsehen und Fotografen von weiten Teilen der Hauptversammlung aus. Ab 11 Uhr vormittags tagt man in Frankfurt am Main, passenderweise in der Jahrhunderthalle. Auf der Tagesordnung: Ein Antrag, der an der Deutschen Börse beteiligten internationalen Investmentbank Morgan Stanley, den amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden und Ex-Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer abzuberufen. Die Chefs eines deutschen Börsenschwergewichts von ausländischen Investoren entmachtet und gedemütigt – was für ein Stoff!

Doch bei der Berichterstattung hat diesmal zwangsweise die Presse die Nase vorn: JournalistInnen können selbstverständlich im Saal bleiben und fein säuberlich mitschreiben. In Bild und Ton aufgenommen werden dürfen aber nur der Bericht des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Vorstandschefs ganz am Anfang der Tagesordnung. Und hier wird natürlich die Schokoladenseite des Unternehmens präsentiert. Die entscheidende Aussprache, die Diskussion um Gegenanträge wie den von Morgan Stanley und die Abstimmungen finden statt, wenn Aufnahmegeräte und Kameras wieder draußen vor der Tür sind.

Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert, das hat auch der Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestags gezeigt, sieht anders aus. Dabei sind Aktiengesellschaften per Gesetz zu größtmöglicher Transparenz angehalten. Schon 2004 überreichte die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche der HypoVereinsbank die „Verschlossene Auster“, stellvertretend für fast alle DAX-30-Unternehmen.

Die Hauptversammlung einer AG ist danach quasi eine private Veranstaltung, das Unternehmen hat Hausrecht. Bis auf den Sportartikler Adidas-Salomon folgen alle im Oberhaus des Deutschen Aktienindex notierten Unternehmen dieser Praxis. Dabei haben über die Frage, welche Form der Berichterstattung zugelassen wird, weder Vorstände noch Aufsichtsräte zu befinden. Sondern die Aktionäre. Doch hier dominieren wiederum die Banken, die stellvertretend für ihre Aktiendepot-Inhaber antreten. Das Interesse, Konflikte offen und öffentlich auszutragen, tendiert bei dieser Aktionärsspezies natürlich auch gegen null.

Appelle wie der des Deutschen Journalistenverbands, diese restriktive Haltung aufzugeben oder wenigstens zu lockern, fruchten wenig. Diese Erfahrung macht auch Eduard Bernhard, Vorstandsmitglied des Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), immer wieder. Er bereist die Hauptversammlungen der Energie- und Chemiebranche. Stets im Gepäck: Ein Antrag auf Zulassung der Übertragung. „Leider sind die meisten Aktionärsvertreter eben Banken“, sagt Bernhard. Immerhin: Bei der jüngsten, alles andere als zahmen Hauptversammlung der Deutschen Bank gab es für seine Initiative – „Teilbeifall“.

Den Unternehmen bleibt so einiges erspart: Im mit deutlichem Zeitabstand erscheinenden gedruckten Bericht wirkt der schönste Konflikt schal und abgestanden. Und das es keine Bilder gibt, macht das Ganze schon gar nicht besser: Der grandiose Anblick, wie bei der ProSiebenSat.1-Hauptversammlung 2003 ausgerechnet der ehemalige Pro-Sieben Schauspieler Christian Doermer („Gletscher Clan“) vom Saalschutz abgeführt wurde, blieb dem breiteren Publikum erspart. Und dem damaligen ProSieben-Chef Urs Rohner eine noch größere Blamage. Denn der ProSieben-Kleinaktionär Doermer wollte eigentlich nur guten Tag sagen. – Offenbar hatte das gerade durch die Kirch-Insolvenz gebeutelte Unternehmen von seinen Aktionären deutlich Schlimmeres erwartet. Womit wir wieder bei der Deutschen Börse wären.