Experte über illegalen Vogelfang: „12 kleine Vögel bringen 100 Euro“
Zugvögel fliegen im Herbst gen Süden, zum Beispiel nach Zypern. Doch dort werden viele illegal gefangen. Vogelschützer Shialis erklärt, was helfen würde.
taz: Herr Shialis, Hunderte Millionen Zugvögel verlassen jetzt im Herbst ihre Brutgebiete in Mitteleuropa für den Winter in Richtung Süden. Dabei durchqueren sie Mittelmeerländer oder bleiben dort, zum Beispiel in Zypern. Doch da werden sie illegal gefangen. Was passiert konkret?
Tassos Shialis: Der illegale Vogelfang in Zypern ist ein dauerhaftes Problem. Der Fang erfolgt auf zwei Arten: erstens mit Leimruten. Eine Rute von etwa 70 Zentimetern Länge wird mit Leim bestrichen und horizontal zwischen die Baumäste gelegt. Der Fallensteller wartet, bis sich ein Vogel drauf setzt und kleben bleibt. Das tun die Vögel zuhauf. Denn Leimruten unterscheiden sich kaum von normalen Ästen. Klebt der Vogel auf einer Rute mit seinen Füßen, kippt er vornüber. Beginnt er zu flattern, verkleben auch seine Flügel, der Schwanz, sogar der Kopf, wenn er sich mit dem Schnabel befreien will. Oft hängt der Vogel Stunden an der Leimrute. Die zweite Fangmethode ist eine mit Fangnetzen. Um die Zahl der gefangenen Vögel zu maximieren, verwenden die Fallensteller Elektro-Lockgeräte, die die Rufe der Vogelarten nachahmen. Beide Fangmethoden sind gemäß europäischem und nationalem Recht verboten.
44, ist Koordinator bei der Nichtregierungsorganisation BirdLife Cyprus. Der Zyprer studierte Umweltwissenschaften und Technologie in Großbritannien.
taz: Welche Vogelarten sind betroffen?
Shialis: Die Fallensteller zielen auf die Mönchsgrasmücke. Ihr wissenschaftlicher Name ist Sylvia atricapilla, sie ist ein bis zu 15 Zentimeter langer und nur rund 17 Gramm schwerer Singvogel. Außerdem haben sie es auf andere kleine Zugvögel wie den Würger, Fliegenschnäpper sowie Grasmückenartige abgesehen. Die Fangsaison für diese Arten ist der Herbst. In der letzten Dekade wurde die Fangzeit im Frühjahr zum Glück auf fast null reduziert. Der illegale Vogelfang findet hierzulande jedoch auch im Winter für Arten wie Drosseln statt, die hier überwintern.
taz: Was geschieht mit den gefangenen Vögeln?
Shialis: Gefangene Vögel werden von den Fallenstellern getötet, um sie illegal zum Verzehr zu verkaufen. Gegrillt oder mariniert als „Ambelopoulia“ aufgetischt gelten sie in Zypern als Delikatesse. Abnehmer sind Restaurants und Privatleute. Im Zwölfer-Pack, also ein Dutzend dieser kleinen Vögel, bringt der Fang bis zu 100 Euro ein! Der Umsatz aus illegalem Vogelfang wird auf rund zehn Millionen Euro pro Jahr geschätzt.
taz: Wie viele Vögel werden illegal gefangen?
Shialis: Jedes Jahr werden Hunderttausende Vögel getötet. In der Republik Zypern (die de facto nur den Süden der Insel kontrolliert, Anm. d. Red.) haben wir zehn Fanggebiete ausgemacht. Wie wir in unserem jüngsten Bericht aufführen, sind im Herbst 2023 in unserem Erhebungsgebiet schätzungsweise rund 435.000 Vögel getötet worden. Im gesamten Inselsüden dürften es rund 580.000 getötete Vögel gewesen sein. Diese Zahl umfasst alle getöteten Vögel, auch jene, die nicht verkauft und daher weggeworfen werden.
taz: Weggeworfen?
Shialis: Nach unseren Beobachtungen, Funden und anderen Quellen sind 157 verschiedene Vogelarten auf Zypern betroffen. Davon zählen 90 zu den gefährdeten Vogelarten. 42 dieser Arten werden zum Verzehr angeboten. Die übrigen Vogelarten, also 115, werden getötet und einfach weggeworfen. Beispielweise die Eule: Ihre Befreiung aus der Falle kostet den Fallensteller zu viel Zeit, die Eule kann ihn mit ihren Klingen zudem verletzen. Also tötet sie der Fallensteller sofort und wirft sie weg.
taz: Wer sind die Täter?
Shialis: Bei den Tätern handelt es sich zum einen um Menschen von vor Ort, die Vogelfallen für den privaten Verzehr aufstellen oder um die Beute zu verkaufen. Darüber hinaus sind Täter aus der organisierten Kriminalität im Vogelfang aktiv. Sie betreiben den illegalen Vogelfang im großen Stil. Das ist ein einträgliches Geschäft, an dem sich Banden beteiligten, die zum Beispiel auch in den Drogenhandel verstrickt sind.
taz: Sie kämpfen gegen die Vogel-Mafia. Werden Sie bedroht?
Shialis: Ja. Wir und andere Vogelschützer laufen ständig Gefahr, bedroht zu werden. Als ich mit Begleitern in einem Buschland war, um nach Beweisen für den Vogelfang zu suchen, widerfuhr uns mal Folgendes: Plötzlich tauchte ein kräftiger Mann auf, der schimpfte. Erst als ich die Klinge im Sonnenlicht glitzern sah, die er hinter seinem Rücken in der Hand hielt, wurde mir klar, wie ernst die Lage war. Breit und streitlustig schritt der Mann den Weg entlang und beschimpfte uns weiter. Die Messerklinge ließ er immer wieder kurz aus ihrem Holzgriff herausschnappen. Dieser Mann war ein Fallensteller, er wollte eindeutig keine Gesellschaft haben. „Was macht ihr hier?“, fragte er. „Ihr seid auf meinem Land“, fügte er in drohendem Ton hinzu. Ich bat um Entschuldigung und sagte, wir wüssten nicht, dass das sein Land ist, wir würden jetzt gehen. Der Mann ließ uns zu unserem Geländewagen gehen, murmelte aber: „Ich sollte Sie wirklich nicht gehen lassen.“ Wir fuhren davon.
taz: Was tun Sie gegen den illegalen Vogelfang?
Shialis: Wir führen Kampagnen durch. Sie basieren auf drei Säulen: systematische Überwachung, politische Überzeugungsarbeit, Aufklärung. Wir orten Fallenstandorte und melden sie den Behörden, damit sie die Straftäter fassen. Wir haben einen Lernbereich im Freien unter dem Namen „Thkio Mosfilies“, das heißt „Zwei Weißdorne“, in einem Gebiet eingerichtet, wo massiv Vogelfänge stattfinden.
taz: Gibt es Erfolge in diesem Kampf?
Shialis: Ja. Die Strafverfolgungsbehörden arbeiten besser mit Vogelschützern wie uns zusammen. Dennoch ist die Zahl der gefangenen Vögel in unserem Erhebungsgebiet im Herbst 2023 im Vergleich zum Vorjahr abermals gestiegen, nachdem seit 2016 ein erfreulicher Rückgang der Fangmengen festzustellen war. Dies betrifft maßgeblich die Methode mit den Fangnetzen. Dazu tragen die seit 2017 verhängten happigen Strafen für deren illegale Verwendung bei. Die Geldstrafen beginnen bei 2.000 Euro.
taz: Gelten diese Strafen für alle Fangarten?
Shialis: Leider ist dies beim Einsatz von Leimruten nicht der Fall. Denn die Geldbußen für die Tötung von bis zu 50 Vögeln mit Leimruten sind im Dezember 2020 von 2.000 Euro auf 200 Euro drastisch gesenkt worden. Das ist lächerlich niedrig, auf keinen Fall abschreckend. Wie gesagt: Ein Zwölfer-Pack kleiner Vögel bringt rund 100 Euro. Das macht bei 48 Vögeln, also vier Zwölfer-Packs, in Summe 400 Euro. Die Geldbuße dafür ist halb so hoch. So ist die Fangmethode mit der Leimrute faktisch entkriminalisiert worden.
taz: Was ist zu tun?
Shialis: Die Geldstrafen sind für alle Vögel – unabhängig von der Tötungsmethode oder der Vogelart – auf 2.000 Euro zu erhöhen. Ferner muss der Kampf gegen die organisierte Kriminalität im Vogelfang verstärkt werden. Unsere Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden muss noch besser werden. Mehr Aufklärung ist nötig. Die Einstellung der Gesellschaft zu dieser illegalen Aktivität muss sich ändern.
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