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SIE WILL NUR DIE NAMENKombinat (1)

Ich sog etwas von der trockenen Büroluft ein

Der Winter war seit Wochen stehen geblieben. Seit Wochen, seit Monaten gab es kein Sonnenlicht, sondern nur die Millionen Facetten eines Graus, das sich morgens aus dem Schwarz ergab, in das es abends wieder zurücksank. Ich hatte einen blauen Himmel im Fernsehen gesehen, gestern noch. Menschen sind in einfachen Hemden, in kurzärmeligen T-Shirts unter Palmen herumspaziert, sind leicht bekleidet in Gewässer gesprungen, das schienen jetzt Bilder aus einer anderen Welt, einer anderen, längst untergegangenen Zeit zu sein. Es gab nur noch dieses Grau. Im Zeitungshaus ging es ebenso graue Stufen hinauf.

In den Redaktionsräumen herrschte Konzentration. Leise schnarrten die Ventilatoren der Rechner vor sich hin. Gelegentlich quietschte ein Schreibtischstuhl. An der Trennwand zwischen der Redakteurin und der Abteilung Sport hing ein Bild von Modigliani. Ich sog etwas von der trockenen Büroluft ein und setzte mich. „Du hast einen Artikel über die Modemafia geschrieben“, begann die Redakteurin. Sie roch frisch. Ihre grünen Augen glänzten hinter einem neuen, etwas zu eckigen Gestell. „Modemafia, ja“, sagte ich. „Der Fall zieht Kreise“, sagte sie. „Die Polizei kennt die Hintergründe nicht, aber du könntest etwas herausfinden. Ich will die Namen“, sagte sie und strahlte mich von einem Gymnastikball aus an.

Namen, dachte ich. Hatte ich nicht eben noch eine Beziehung zu einer jungen Schauspielerin für einen Artikel über sie aufgegeben? Sie war jedenfalls gar nicht begeistert gewesen, Details aus ihrem Liebesleben und ihrem Verhältnis zu Regisseur, Team und Set am anderen Tag in der Zeitung zu lesen. Da half es auch nicht, ihr zu erklären, dass daraus meine Existenz bestünde: aus Text. Sie brach den Kontakt ab. Schade um diese Monroe/Miller- oder Seberg/Gary-Konstellation. Die Namen also. Ich nahm den Auftrag an.

RENÉ HAMANN

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