Leonardo Pape über Chinas Militärmanöver um Taiwan
: Weitere Entfremdung

Als Chinas Armee zum Wochenstart erneut ein groß angelegtes Militärmanöver um Taiwan abhielt, ging das Alltagsleben dort unbeirrt weiter seinen Gang. Fast schon ritualisiert operiert China zunehmend mit Drohgebärden vor und nach politischen Großereignissen auf der Insel: nach den letzten großen Militärübungen im Mai und nach der Amtseinführung des neuen taiwanischen Präsidenten Lai Ching-Te. Jetzt war die Feier des taiwanischen Nationalfeiertags am 10. Oktober Anlass für ein weiteres Manöver.

Dabei hatte Präsident Lai in seiner Rede zum Feiertag zwar einen selbstbewussten, aber gegenüber China teils recht diplomatischen Ton angeschlagen: Die Volksrepublik könne Taiwan nicht repräsentieren, doch sein Land sei bereit zu einem Dialog auf Augenhöhe. Lai bemühte sogar umfangreiche historische Verbindungen zu China. Denn Taiwans Nationalfeiertag geht auf die Gründungszeit der Republik China zurück, die die Kuomintang-Partei nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen die Kommunistische Partei einst auf Taiwan neu ausrief.

Dass der offizielle Staatsname Taiwans bis heute Republik China lautet, ist für Lai und einen Großteil der Bevölkerung vor allem ein historisches Relikt. Dass der Präsident die formal chinesische Staatsidentität am Nationalfeiertag dennoch besonders betonte, war deswegen ein umso bemerkenswerteres Signal der Beruhigung gegenüber der Regierung in Peking.

Allein es half nichts. Dass China mit seinem zweiten großen Militärmanöver der Operation „Gemeinsames Schwert 2024-A“ im Mai nun ein „2024-B“ folgen ließ, verstärkt den Eindruck, dass Chinas Eskalationen einer eigenen Logik folgen – egal, wie Taiwan politisch handelt.

Der Bevölkerung Taiwans demonstriert die kommunistische Parteiführung damit keine Stärke, sondern nur, dass sie jeden ernsthaften Dialog ablehnt. Die Welten beiderseits der Taiwanstraße sind einander in diesen Tagen noch ein Stück fremder geworden.

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