CSD in Görlitz und Zgorzelec: Pride-Party unter Polizeischutz

In Görlitz und dem polnischen Zgorzelec lief heute der letzte CSD dieser Saison in Sachsen. Die queere Szene wurde sichtbar – ebenso wie die Neonazis.

Teilnehmende des CSD in Görlitz schwenken am 28. September 2024 Regenbogen-Fahnen

Lebensfreude gegen rechts: Rund 800 Menschen feierten am Samstag in Görlitz den Christopher Street Day (CSD) Foto: Johannes Grunert

Görlitz/Zgorzelec taz | Görlitz hat sich heute von seiner schönsten Seite gezeigt. Oder zumindest: fast. Rund 800 Menschen waren an diesem Samstag zum Christopher Street Day (CSD) in die ostsächsische Stadt gekommen. Es war die letzte CSD-Parade der Saison in Sachsen. Begleitet von Samba-Trommeln und Pop-Musik führte die Route bis über die Grenze in die polnische Nachbarstadt Zgorzelec. Selbst leichte Regenschauer konnten die Stimmung nicht trüben. Einzig eine kurze Konfrontation mit einer Neonazi-Demo am Rande des Abschlussfestes sorgte für Aufregung.

Deutsche und polnische Rechtsextremisten hatten überregional zu Protest gegen den CSD mobilisiert. 450 Neonazis waren dem Aufruf gefolgt, weniger als befürchtet. Wie zuvor in Leipzig, Döbeln, Bautzen und weiteren Städten lief auch in Görlitz der CSD nur unter dem Schutz eines größeren Polizeiaufgebots.

Angst zu haben, helfe aber nicht, sagt Wojciech M. Urlich. Er ist Anmelder des CSD und steht am Mittag vor dem Lautsprecherwagen, der mit Girlanden und bunten Ballons geschmückt ist. Neben ihm lacht ein Mann in Einhorn-Jumpsuite, es wehen Regenbogen- und Antifa-Fahnen. „Hier im Landkreis gibt es eine starke queere Community“, sagt Urlich. „Deshalb feiern wir, sind sichtbar und zeigen uns.“

Görlitz hat auch linke Kneipen

Die Community hat es in der Region nicht leicht. Zwar ist Görlitz nicht einfach ein braunes Nest: Es gibt eine alternative Subkultur, selbstverwaltete Hausprojekte, linke Kneipen, das sozio-kulturelle Zentrum „Rabryka“ und das Jugendzentrum Basta, das im August das 30-jährige Bestehen feierte. Auch für die LGBTQI*-Community ist Görlitz in der Region ein Anlaufpunkt, mit Beratungsangeboten und selbstorganisiertem Kulturangebot. Dennoch ist die AfD in Stadt und Landkreis die mit Abstand stärkste Kraft. Neonazismus dominiert vor allem im ländlichen Raum in Ostsachsen die Jugendkultur. Viele der Plakate, die den CSD in Görlitz beworben haben, wurden schon in der ersten Nacht zerstört oder beschmiert.

„Man merkt es im Alltag, wenn man nicht dem heteronormativen Bild entspricht“, berichtet Grete Binder aus dem CSD-Orgateam. „Auf der Straße gibt es skeptische Blicke, man muss viel erklären, schluckt es runter.“ Schlimmer sei es in Bautzen, wo man als queere Person kaum noch in eine Kneipe gehen könne. Auch der Wahlerfolg der Rechten sorgt bei Binder tagtäglich für ein mulmiges Gefühl. „Wenn ich zum Bäcker oder zum Supermarkt gehe, kann ich durchzählen, dass jede dritte Person die AfD gewählt hat – und also ein Problem mit mir hat und damit, in wen ich mich verliebe.“

„Wir erleben in den letzten Monaten tagtäglichen Kontakt mit Gewalt“, sagt CSD-Anmelder Urlich. Das queere Leben sei eingeschränkt: „In großen Städten ist es selbstverständlich, Hand in Hand mit gleichgeschlechtlicher Partnerin oder Partner zu gehen. Hier ist das nicht so“, sagt er. Zu LGBTQI*-Aktivist*innen auf der polnischen Seite bestehe guter Kontakt. Die Gesellschaft dort sei noch konservativer, die Situation für Queers noch schwerer. Deshalb sei die grenzüberschreitende Demonstration in Görlitz und Zgorzelec so wichtig.

Unterstützung gab es dafür aus der Politik: Der Zgorzelecer Bürgermeister Rafał Gronicz war für eine Rede angekündigt, ebenso wie der Görlitzer Kulturbürgermeister Benedikt M. Hummel. Auch der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) ist angereist. „Liebt doch, wen ihr wollt“, sagt er ins Mikro des Lautsprecherwagens und spricht von Gewalt und Einschüchterungen, die für Queers in Sachsen zugenommen hätten. Deshalb käme er zum CSD: Weil mit der Anwesenheit von Spitzenpolitikern wie ihm der Schutz garantiert sei.

Dass dieser Polizeischutz durchaus nötig war, hatte sich bereits am Vormittag am Görlitzer Bahnhof gezeigt. Gruppen von Neonazis aus Bautzen, Zittau und weiteren Städten sammelten sich auf dem Vorplatz und waren vornehmlich in Schwarz gekleidet. Während beim CSD für Vielfalt, Selbstbestimmung und Lebensfreude getanzt wurde, war eines der Themen der Neonazis, welche Kleidung sie tragen könnten, ohne Volksverhetzung zu begehen. Hinbekommen haben sie es nicht: Obwohl es per Auflage verboten war, zeigten einige der Neonazis ein Fingerzeichen, das für „White Power“ stehen soll.

Neonazis brüllen am 28. September 2024 in Görlitz auf einer Demonstration.

Rund 450 Neonazis haben am Samstag in Görlitz gegen den CSD demonstriert Foto: Johannes Grunert

Die Polizei erklärte am Nachmittag, es seien auch wegen einzelner Parolen auf der rechten Demo Ermittlungen eingeleitet worden. Nach taz-Informationen handelt es sich unter anderem um eine verbotene neonazistische Parole, sowie einen menschenverachtenden Spruch, mit dem Schwulen der Tod gewünscht wurde.

Vor allem die Gruppe „Elblandrevolte“ hatte zum rechten Protest aufgerufen. Der mutmaßliche Anführer der Gruppe, Finley Pügner, kommt aus Görlitz. Die Gruppe „Elblandrevolte“ wurde erst Anfang 2024 gegründet. BeobachterInnen der Szene berichten von einem gewissen Zulauf und Ortsgruppen in mehreren ostsächsischen Städten. ExpertInnen des Kulturbüros Sachsen ordnen die „Elblandrevolte“ als Ortsgruppe der JN ein, der Jungen Nationalisten, also des Jugendverbands der ehemaligen NPD (heute: Die Heimat). Ein mutmaßliches Mitglied der Elblandrevolte verübte im Mai einen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke, der dabei schwer verletzt wurde. Die Elblandrevolte bestreitet, dass der Angreifer ein Mitglied gewesen sei.

Neonazis bedrohen CSD-Abschlussfest

Über mehrere Stunden gelang es der Polizei, die Neonazis vom CSD fernzuhalten. Bis zur Überquerung der Neiße in Richtung Polen trottete der rechte Aufmarsch der Pride-Parade in einigem Abstand hinterher. Nur einzelne Neonazi-Grüppchen kamen näher und begleiteten die Pride-Parade am Rand. Auf polnischer Seite postierte sich jeweils eine Handvoll Neonazis an den Brücken über die Neiße – teilweise in Bomberjacke und Springerstiefeln.

Polnische Neonazis beim CSD in Görlitz und Zgorzelec

Nicht nur geistig hängengeblieben: Polnische Neonazis warten am Samstag auf die CSD-Demo im polnischen Zgorzelec Foto: Jean-Philipp Baeck

So hätte der CSD an diesem Tag reibungslos zu Ende gehen können, wäre es nicht am Nachmittag noch zu einer konfrontativen Situation gekommen. Als sich die Teilnehmenden der queeren Parade schon auf dem Eliasbethplatz in der Görlitzer Altstadt zu ihrem Abschlussfest verstreut hatten, marschierten plötzlich die 450 schwarz gekleideten Neonazis mit ihrem Demonstrationszug in ihre Richtung.

Viele CSD-Teilnehmenden nahmen das als bedrohlich wahr. Mehrere Dutzend taten sich zusammen und sammelten sich auf der vermeintlichen Route, riefen antifaschistische Parolen und stellten sich den Neonazis gegenüber – getrennt nur durch einige nun behelmte Polizist*innen.

Sie könne es nicht fassen, sagte eine Frau im Getümmel: „Wir kann die Polizei die Nazi-Route hier langführen?“ Ein Sprecher der Polizei erklärte dazu der taz, die Demonstrationsroute der Rechten hätte nicht entlang des Abschlussfests geführt. Genehmigt wurde der Neonazi-Aufmarsch nur bis zu jenem Punkt in unmittelbarer Nähe und in Sicht und Hörweite des CSD-Abschlussfestes, an dem die Neonazis dann laut und aggressiv aufmarschierten.

CSD-Mitorganisatorin Grete Binder äußerte großes Unverständnis für diese Entscheidung. Insgesamt war sie aber mit dem Tag zufrieden. Es seien fast doppelt so viele Menschen gekommen, wie im vergangenen Jahr.

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