Hilfe
gegen
den
Krebs

Etwa eine halbe Million Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr neu an Krebs. Doch die Forschung hat bereits viel erreicht – und ermöglicht immer bessere Behandlungen und Heilungschancen

CAR-T-Zellen müssen, wie hier im Universitätsklinikum Leipzig, kalt gelagert werden, können die Behandlung von Krebs­pa­ti­en­t:in­nen aber entscheidend verbessern Fotos: Andreas Pein/laif

Das Immunsystem von CAR-T-Zellen-Patient:innen ist anfällig und muss geschützt werden. Die Isolation und Therapie können auch psychisch belasten.

Von Simon Barmann

Strahlentherapie

Seit vielen Jahren wird Bestrahlung gegen Tumoren eingesetzt, doch neue Teilchen und präzisere Anwendungen könnten die Therapie deutlich verträglicher machen

Bald könnte die Zeit vorbei sein, in der sich Krebs­pa­ti­en­t:in­nen während einer Strahlentherapie angemalt wie eine Wanderkarte tage- oder gar wochenlang nicht duschen durften. Über Markierungen auf dem Körper werden die Orte zur Bestrahlung bisher grob festgehalten, in Zukunft könnten neue Bildgebungsverfahren das präziser ersetzen. Auch wenn die Bestrahlung schon lange im Einsatz ist, ist sie heute eine Hightechtherapie – und von zentraler Bedeutung. Die Strahlentherapie ist an der Hälfte alle Krebsheilungen beteiligt. Neben der Operation stellt sie die wichtigste Behandlungsmethode dar.

„Bei personalisierter Therapie spricht man häufig über Systemtherapien, doch ist Strahlentherapie schon in ihrer Anlage auf jede Person eigens angepasst“, sagt Ursula Nestle, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft. Je­de:r Pa­ti­en­t:in erhält einen individuellen Behandlungsplan, der durch den Einsatz von KI und moderner Bildgebung immer präziser wird. Tumoren und Metastasen können besser identifiziert und auf den Millimeter genau bestrahlt werden. In einigen Zentren wird schon jetzt live auf dem Bestrahlungstisch ein Bild gemacht. Dadurch kann ein aktueller Plan der Anatomie ermittelt werden. „So erhöhen wir die Präzision und schonen umliegendes Gewebe“, sagt Nestle.

Auch Tumoren, die sich im Körper vor der Strahlentherapie verstecken, können immer besser angesteuert werden. In der sogenannten stereotaktischen Bestrahlung findet das bereits Anwendung für Hirntumoren und -metastasen. Gerade dort ist es wichtig, bloß kein umliegendes Gehirngewebe zu beschädigen und gleichzeitig den Tumor möglichst effektiv zu zerstören. Das verbessert die Heilungschance und reduziert gleichzeitig die Nebenwirkungen, die vornehmlich durch die Beschädigung von gesundem Gewebe in der Umgebung des Tumors entstehen.

An dieser Stelle setzt weitere Forschung an. Im Regelfall werden Photonen als energiereiche Teilchen genutzt, um die DNA der Tumorzellen zu zerstören. Diese gelangen von der Strahlenquelle durch die Haut in den Körper und werden, wie unter einem Brennglas, an einem präzisen Ort gebündelt. Durch diese Bündelung entfalten die Photonen ihre Wirkung. Auf dem Weg dorthin gehen jedoch kleine Energiemengen im Gewebe zwischen Haut und Tumor verloren, genauso wie im Gewebe hinter dem Tumor. Das Resultat sind Nebenwirkungen wie Haut- und Schleimhautreizungen oder Entzündungen.

Inzwischen können aber auch Protonen oder Schwerionen für die Bestrahlung genutzt werden, auch wenn das bislang noch sehr teuer ist. Sie geben genau an einem bestimmten Ort ihre Energie ab und hinterlassen auf dem Weg weniger Spuren. Die Wirksamkeit kann damit erhöht und die Nebenwirkungen verringert werden.

Auch die Flash-Therapie will den Schaden für das umliegende Gewebe des Tumors reduzieren. Klassischerweise braucht eine Strahlentherapie mehrere Wochen und viele einzelne Termine. Dadurch soll dem gesunden Gewebe Zeit gegeben werden, sich mithilfe von Reparaturmechanismen zu regenerieren. Bei der Flash-Therapie wird hingegen in kurzer Zeit sehr viel Strahlung auf einmal ausgesendet. „Erstaunlicherweise führt das im Tumorgewebe zu einer hocheffizienten Zerstörungskraft, während umliegendes Gewebe weniger beansprucht zu werden scheint“, sagt Nestle.

Vielversprechend kann in der Tumorbehandlung auch die Kombination verschiedener Therapieformen sein, etwa der Strahlentherapie mit Chemo- oder Immuntherapie. Erste Studien haben gezeigt, dass eine zeitnahe Bestrahlung die Ergebnisse einer Immuntherapie verbessern könnte. Eine Immuntherapie ist beispielsweise die CAR-T-Cell-Therapie oder die mRNA-Therapie, also eine Therapie, die das Immunsystem stärkt, um selbständig den Krebs zu zerstören. „Man spricht dabei von turning cold in hot tumors“, erklärt Nestle. Das menschliche Immunsystem kann einen Tumor dann besser erkennen und seine Arbeit wirkungsvoller verrichten.

Immer zentraler wird auch, dass Pa­ti­en­t:in­nen enger in die Behandlungspläne einbezogen werden. „Es gibt Forschung zu individualisierten Beratungstools“, so Nestle. Die Vision ist es, als Pa­ti­en­t:in mit einer bestimmten Krebsdiagnose die eigene Therapie mitzugestalten. Das könnte so aussehen, dass man mithilfe von Tools selbst überlegen kann, was einem für die Therapie besonders wichtig ist; etwa hohe Lebensqualität verbunden mit Risiken oder eine Heilung mit den entsprechenden Nebenwirkungen. Die Tools unterstützen die Entscheidung mit Studiendaten und Daten aus der Versorgungsforschung.

mRNA-Impfstoff

Durch die Coronapandemie weltbekannt, wird mRNA nun auch in der Krebstherapie genutzt

Die Mainzer Firma Biontech versorgte in der Coronapandemie Millionen Menschen mit einem modernen mRNA-Impfstoff. Dem Körper wird dabei ein Bauplan gegeben, von dem ausgehend er selbst Proteine herstellt, die sich gegen einen Erreger richten könnten.

Die Forschung dahinter zielte ursprünglich auf die Krebsbehandlung ab. Nun könnte sie in diesem Feld bald öfter zum Einsatz kommen. Um eine Impfung im eigentlichen Sinne handelt es sich dabei nicht, schließlich kann die Methode erst nach einer Krebserkrankung in der Therapie zum Einsatz kommen und nicht präventiv. Zur Krebsbehandlung braucht man den Tumor, um den mRNA-Impfstoff für je­de:n Pa­ti­en­t:in individuell herzustellen. Wird ein Tumor entdeckt, wird daraus eine Probe entnommen. Mithilfe von künstlicher Intelligenz werden gesunde Körperzellen mit den unliebsamen Krebszellen verglichen und die unterschiedlichen Oberflächeneiweiße dechiffriert. Diese Eiweiße werden als Neoantigene bezeichnet und entstehen zumeist durch Mutationen, also krankhafte Veränderungen im Erbgut.

Da bei jedem Menschen der Krebs in seinem zellulären Erscheinungsbild einzigartig ist, muss der Bauplan in aufwändiger Einzelarbeit für jeden Patienten eigens konstruiert werden, bevor er als mRNA über eine Spritze in den Körper gelangt. Dort werden daraus wieder Proteinschnipsel hergestellt, die den Oberflächenproteinen des Krebses ähneln und das Immunsystem darin trainieren, die Krebszellen zu erkennen und effektiver anzugreifen. Noch ist diese Therapie nicht zugelassen. Schwierigkeiten stellen mitunter die Haltbarkeit der mRNA-Bausteine, die verzögerte Produktion der Proteinschnipsel im Körper und die Fähigkeit des Tumors, sich weiterhin dem Immunsystem zu entziehen, dar. In klinischen Studien aber wird die Methode bereits beim schwarzen Hautkrebs und einer Unterform von Lungenkrebs getestet.

Für den praktischen Gebrauch werden unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten diskutiert. Eine wichtige Rolle könnten mRNA-Impfstoffe in der Vermeidung von Rückfällen – Rezidiven – einnehmen. Aber auch die Kombination mit anderen Immuntherapeutika gilt als vielversprechend.

CAR-T-Zellen

Veränderte körpereigene Immunzellen können Tumoren individuell bekämpfen

CAR-T-Zellen sind im Grunde gentechnisch veränderte Superwaffen. Sie basieren auf T-Zellen, den wichtigsten zellulären Abwehrzellen des körpereigenen Immunsystems. Diese einfachen Fußsoldaten sind durch den Kampf gegen die vielen Krebszellen ausgezehrt, der Tumor entzieht sich mit vielen Tricks dem Immunsystem.

Als CAR-T-Zellen werden sie aber wieder zu kraftvollen Gegnern. Dafür werden T-Zellen dem Körper entnommen, aufbereitet und gentechnisch mit einem künstlich zusammengesetzten Rezeptor – einer Andockstelle – versehen, der auf ein Oberflächenprotein des Tumors angepasst ist. Er heißt chimärer Antigenrezeptor, kurz CAR. Zurück im Körper gehen die CAR-T-Zellen dem Tumor an den Kragen.

Die Therapie hat allerdings eine Schwäche. Der Rezeptor kann nur ein bestimmtes Oberflächenprotein binden. Er ist damit nur auf ein einzelnes äußerliches Merkmal der Krebszellen trainiert. Bei den sogenannten soliden, also festen Tumoren funktioniert das nicht so gut. Deshalb gibt es eine Zulassung nur für das weite Feld der Blut- und Lymphkrebse. Zudem ist die Therapie aufwändig. Mehrere Wochen sind für die Herstellung nötig. Vor der Rückführung der CAR-T-Zellen in den Körper unterlaufen die Pa­ti­en­t:in­nen zudem eine Chemotherapie, um die im Körper verbliebenen T-Zellen zurückzudrängen. Nur dann können die CAR-T-Zellen ihre Wirkung entfalten. Bereits seit zehn Jahren wird diese Art der Behandlung eingesetzt.

Ohne Nebenwirkungen kommt sie allerdings nicht aus. Das Immunsystem kann überfordert sein und in einer übertriebenen Immunreaktion mit Fieber und Schüttelfrost reagieren. Die gleichzeitige Zerstörung einer Großzahl an Tumorzellen kann zudem zu Stoffwechselproblemen führen. Auch Infektanfälligkeit und Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel und Verwirrtheit können auftreten. Durch eine gute ärztliche Überwachung können die Folgen aber wirkungsvoll vorgebeugt werden. Mehrere ähnliche, gleichwohl aber breiter angelegte Therapeutika sind bereits auf dem Weg. Geforscht wird daran, auch feste Tumoren in Zukunft adressieren zu können. Etwa, indem man die CAR-T-Zellen durch ein unschädliches Bakterium in den Tumor lockt.