Safe Abortion Day: Sicher nur in der Theorie

Der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist in Deutschland mit erheblichen Hürden verbunden. Initiativen rufen zur Legalisierung auf.

Mein Körper, meine Entscheidung: Abtreibungen könnten leichter gestaltet werden Foto: dpa | Christophe Gateau

Berlin taz | Mund auf, Pille rein, Abtreibung erledigt? So leicht ist der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland keineswegs: Feststellung der Schwangerschaft, Pflichtberatung, Versuch der Beantragung einer Kostenübernahme, dreitägige Wartefrist und das Auffinden ei­ne*r Ärzt*in, die den Abbruch durchführt – so sieht der Hürdenlauf für ungewollt schwangere Personen derzeit aus. Um darauf aufmerksam zu machen und die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu fordern, rufen am 28. September berlin- und bundesweit Initiativen und Bündnisse zum „Safe Abortion Day“ auf.

„Es ist die am häufigsten durchgeführte gynäkologische Operation. Es sollte eine ganz normale medizinische Behandlung sein“, fordert Gosia von der Initiative Ciocia Basia. Die polnische Initiative, übersetzt „Tante Barbara“, bringt Frauen aus Polen nach Berlin, um ihnen hier eine sichere Abtreibung zu ermöglichen. In Polen ist der Schwangerschaftsabbruch seit Mitte der 1990er Jahre verboten, auch in Deutschland ist Abtreibung grundsätzlich rechtswidrig, unter bestimmten Bedingungen jedoch straffrei. „Doch es gibt viele Hürden. Sie variieren je nach Praxis und Fall“, erzählt Gosia, die aus Sorge vor strafrechtlichen Konsequenzen in Polen, ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte.

„Viele Praxen weigern sich nach der 12. Woche Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Andere bieten nur entweder medikamentöse oder operative Abbrüche an, nicht beides“, erzählt sie. Für einen operativen Abbruch ist zudem eine Voruntersuchung beim Frauenarzt erforderlich. Zwischen dieser Untersuchung und dem Operationstermin müssen mindestens 3 Tage „Bedenkzeit“ eingehalten werden; einige forderten sogar 4 Tage oder verlangten eine Bestätigung von einem weiteren Arzt.

„Ein weiteres großes Hindernis ist die Pflichtberatung“, sagt Gosia. Diese erfordert immer die Einbeziehung ei­ne*r Sozialarbeiter*in, die manchmal aus nicht nachvollziehbaren Gründen keinen Schwangerschaftskonfliktberatungsschein ausstellten oder Geld verlangten, obwohl die Leistung kostenlos sein müsste.

Schwangerschaftsabbrüche ist eine Selbstzahlerleistung

Die Abschaffung der Beratungspflicht fordert auch ein Bündnis gesundheitspolitischer und feministischer Initiativen, das Mitte September die Kampagne: „Abtreibung legalisieren – jetzt!“ ins Leben rief. „Wir fordern stattdessen ein freiwilliges Beratungsangebot“, sagt Jascha Anders vom Bündnis der taz. Außerdem brauche es eine Ausweitung der Beratungsstellen. „Im ländlichen Raum muss man bis zu eine Stunde fahren, um die Pflichtberatung durchführen zu können.“ Schließlich fordert das Bündnis die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse. Bislang ist der Schwangerschaftsabbruch eine Selbstzahlerleistung, weil Krankenkassen keine Kosten für illegale Behandlungen übernehmen dürfen.

Auch Gosia betont: „Sicherer Schwangerschaftsabbruch bedeutet auch, dass er nicht teuer ist.“ In Deutschland kosten die Pillen für einen medikamentösen Abbruch mindestens 300 Euro. Die Ärz­t*in­nen bestimmen die Preise, eine Obergrenze gibt es nicht. Die Kosten für einen operativen Eingriff liegen je nach Schwangerschaftswoche zwischen 400 und 600 Euro. Problematisch sei auch, dass Ärz­t*in­nen in Deutschland häufig unzureichend informiert seien: „Sie verschreiben fehldosierte Pillen oder geben falsche Hinweise zur Einnahmemethode, sodass die Substanz vom Körper nicht aufgesaugt wird und der Abbruch scheitert“, erzählt Gosia. Zudem hätten einige wenig Vertrauen in ihre Pa­ti­en­t*in­nen und forderten, dass sie für jede Pilleneinnnahme sowie anschließende Kontrolluntersuchungen in die Praxis kommen.

Die Vielzahl der Hürden in Deutschland führe dazu, dass viele Frauen Abtreibungen in anderen Ländern durchführten, etwa in Österreich oder Tschechien, wo keine Beratungspflicht besteht. „Früher haben wir bis zu 8 Personen die Woche nach Berlin gebracht, derzeit sind es nur noch 1 bis 2“, erzählt Gosia. „Denn unter manchen Umständen ist es in Polen sogar leichter abzutreiben als in Berlin, besonders bei medikamentösen Abbrüchen.“

Die Politik soll sich aus dem Thema Abtreibung raushalten

Im veralteten polnischen Gesetz ist der medikamentöse Abbruch noch nicht enthalten, weshalb die Abtreibungspillen legal bestellt werden können, etwa aus den Niederlanden – und das für 75 Euro, weniger als einem Drittel des deutschen Preises. In Polen floriert derweil ein Schwarzmarkt mit zu niedrig dosierten oder gefälschten Abtreibungspillen, oft Placebos, wie Paracetamol, so Gosia. In Deutschland hingegen ist das Bestellen von Pillen verboten, da sie theoretisch vor Ort erhältlich sind. Allerdings dürfen sie hier nur bis zur 9. Schwangerschaftswoche verabreicht werden, obwohl die Pille laut Weltgesundheitsorganisation bis zum Ende der 12. Woche als sicherste Abtreibungsmethode gilt. Für Gosia zeigt dies, wie wenig politische Entscheidungen auf medizinischen Empfehlungen basieren. Ihr Appell: „Das Beste, was die Politik tun kann, ist sich aus dem Thema Abtreibung komplett rauszuhalten.“

Das fordert auch das Bündnis der Kampagne „Abtreibung legalisieren – jetzt!“ sowie auch große Teile der Bevölkerung. Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Bundesfrauenministeriums (BMFSFJ) im April ergab, dass 80 Prozent der deutschen Bevölkerung die Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen für falsch halten. Im April war ein Expertengremium, das von der Bundesregierung beauftragt wurde, zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Regelung nicht mehr haltbar sei und forderten eine Reform des Abtreibungsrechts.

Vertreter der Bundesregierung reagierten jedoch bislang zurückhaltend, mit der Begründung, die Legalisierung von Abtreibung treibe einen Spaltungskeil in die Gesellschaft. Jascha Anders vom Bündnis hält das für ein „Scheinargument“. Sie vermutet vielmehr, dass die Angst vor Wählerstimmenverlust die Regierung lähmt. „Die Regierung beugt sich einer kleinen konservativen Minderheit und lässt sich von dem Erstarken rechter Parteien, wie der AfD, die gegen Abtreibung sind, unter Druck setzen“, kritisiert sie.

Das Bündnis ruft deshalb dazu auf, sich an der bundesweiten Aktionswoche zum „Safe Abortion Day“ vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung zu beteiligen. Am Samstag findet um 18 Uhr eine Kundgebung in der Zionskirchstraße, vor dem Büro der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch, statt. Dort fordern sie die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland – noch in dieser Legislatur.

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