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berliner szenenScreensaver aus den 90ern

Der Himmel über dem Alex hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet war. F. und ich standen an den bodentiefen Fenstern einer Sky Lounge im 9. Stock, Jubiläumsfeier eines Designbüros. Der Horizont allerdings war noch in goldenen Oktober getaucht, ein Farbverlauf von graublau bis altrosa. Später dann, es war bereits dunkel, schlossen wir unsere Fahrräder neben der Lieblingsbuchhandlung ab. 25 Jahre Bücher zu Stadt, Politik, Pop, Ökonomiekritik, Architektur, Design, Kunst & Theorie, Sie wissen schon. Ein Buch über die Organisation von Farbe sollte vorgestellt werden – da lief uns das Thema leibhaftig über den Weg: Die zwei Twentysomethings, die plaudernd an uns vorbeigingen, fielen uns erst wirklich auf, als sie uns ihre – ja was eigentlich? – zuwandten. Statt zweier Rücken sahen wir auf in grellem Gelb strahlende, hochformatige LED-Monitore mit Werbung (für Sie nachrecherchiert: „32 Inch Led Backpack Advertising Human Walking Digital Billboards“ – ab $71,00). Uns schien das jetzt neu für Berlin.

Bevor wir die richtigen Begriffe fanden, wurden die leuchtenden Flächen im Dunkel der Straße aber immer kleiner und ähnelten dabei den Spielkartenfiguren aus Alice im Wunderland, den beiden Bällen aus Kafkas „Blumfeld“ oder einem Screensaver aus den 90ern. F. machte noch schnell ein Foto, nun aber rasch zur Buchvorstellung. Um Pantone ging es, um Goethe, Godard, den Werkbund, die IG Farben – und um Robert Owen. Der britische Unternehmer und spätere Frühsozialist hatte um 1816 begonnen, seine Arbeiter mit über ihnen hängenden „Silent Monitors“ zu disziplinieren – hölzernen Klötzen mit jeweils vier verschiedenen Farben auf den Seiten, die den Grad der Arbeitsproduktivität auswiesen. Gelb stand für „moderate goodness“, mäßige Güte.

Martin Conrads

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