Forscherinnen bleiben die Ausnahme

Acht Männer haben dieses Jahr für ihre herausragenden Leistungen den Nobelpreise in Medizin, Physik und Chemie erhalten. Der Oscar der Wissenschaft steht immer noch vor strukturellen Problemen

Von Adefunmi Olanigan

Genauso wie seit Jahrzehnten ist der höchste Preis der Wissenschaft auch heute noch ein männerdominierter westlicher Preis

Statistisch gesehen passen die Gewinner der diesjährigen Nobelpreise in Biologie, Physik und Chemie gut zu ihren vielen Vorgängern. Sie sind meist weiße, über 50-jährige Männer, geboren in den USA oder Großbritannien. Die Themen der Preise geben aber auch einen Blick auf die Fortschritte, die künstliche Intelligenz (KI) in der Forschung ermöglicht haben und welchen Stellenwert sie dort mittlerweile und wohl auch zukünftig haben wird. Für den Umgang mit KI brauche „verantwortliche Wissenschaft die Aufsicht des Menschen“, sagte der Vorsitzende des Chemie-Nobelkomitees, Heiner Linke.

Sowohl der Preis in Physik als auch der in Chemie honorieren die Fortschritte, die KI ermöglicht. Für ihre Grundlagenforschung zu neuronalen Netzwerken, auf denen KI basiert, gewannen der 92-jährige John Hopfield und der 76-jährige Geoffrey Hinton. Ihre Entwicklung ermöglicht heute die Gedächtnisfunktion von KI.

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Es waren auch Fortschritte in der KI, die die Vorhersage von Proteinstrukturen allein auf Grundlage ihrer Aminosäuresequenz ermöglicht haben. Mehr als 50 Jahre war das in der Forschung unmöglich. Für ihren Durchbruch haben Demis Hassabis und John Jumper die Hälfte des diesjährigen Preises gewonnen. Die andere ging an David Baker, für seine Pionierarbeit im Protein Design. Wie bei den Physik-Nobelpreisträgern liegen die Forschungserfolge oft über 20 Jahre zurück. Die Abstände sind seit dem ersten Nobelpreis 1901 immer größer geworden. Erst wenn die großen Linien der Arbeit sichtbar werden, wurden sie ausgezeichnet. Den Preis in Biologie haben die zwei Forschenden Victor Ambros und Gary Ruvkun, 70 und 72, für ihre Arbeit an der microRNA erhalten. Diese kleinen RNA-Moleküle spielen eine bedeutende Rolle in der Genregulation. Aber genauso wie seit Jahrzehnten ist der höchste Preis der Wissenschaft auch heute noch ein männerdominierter westlicher Preis, wie Daten zeigen. Am Montag, dem 14. Oktober, wird noch der letzte Forschungspreis vergeben, in Wirtschaft. Dieser Preis wird erst seit 1969 verliehen.

Forschung ist männlich

Frauen, die an den Entdeckungen der Nobelpreise maßgeblich beteiligt waren, wurde in der Vergangenheit bei der Preisvergabe immer wieder übergangen. Etwa die Biochemikerin Rosalind Franklin oder die Kernphysikerin Lise Meitner. Die Quote der Frauen unter den Nobelpreis-Sieger*innen ist miserabel. Nur 59 Frauen erhielten seit 1901 den Preis. Am schlechtesten schneiden sie in der Physik ab. Gerade mal zwei Prozent der Ausgezeichneten in dieser Kategorie sind weiblich. In den anderen Forschungsfeldern sieht es ähnlich aus. Höher liegt der Anteil nur außerhalb der Forschung in der Literatur und beim Friedensnobelpreis, dort sind es um die 14 Prozent.

Für die schlechte Quote ist nicht allein das Gremium um den Preis verantwortlich. Forscherinnen in Spitzenpositionen sind bis heute unterrepräsentiert. In Deutschland waren 2020 etwa ein Drittel der Professuren von Frauen besetzt, obwohl unter Studierenden der Anteil wesentlich höher ist. Zudem geht ein Großteil der aktuellen Nobelpreise an Forschungserfolge aus den 90ern und 2000er hervor, in denen die Verteilung global noch ungleicher war.

Bis heute bleiben Frauen wie Marie Curie die Ausnahme. Sie hat 1903 nicht nur als erste Frau den Preis gewonnen, sondern auch als eine von nur fünf Preis­trä­ge­r*in­nen hat sie zwei Auszeichnungen erhalten, in den Kategorien Physik und Chemie. Seit Anfang der 2000er wurden wesentlich mehr Frauen ausgezeichnet. Bis zur Jahrtausendwende erhielten in den Naturwissenschaften über die knapp hundert Jahre insgesamt elf Frauen den Preis. Seitdem waren es bereits 15.

Die große akademische Familie

Fast alle No­bel­preis­trä­ge­r*in­nen kennen sich. Also nicht direkt, aber sie stammen aus den gleichen akademischen Familien. Nicht weniger als 702 von 736 For­sche­r*in­nen bis einschließlich 2023 aus Chemie, Physik, Medizin und Medizin waren irgendwann in der Geschichte mal miteinander verbunden.

Angefangen hat es etwa mit John W. Strutt. 1904 gewann er den Nobelpreis in Physik für seine Forschung über die Eigenschaften von Gasen. Einer seiner Lehrlinge, Joseph Thomson, wurde dann 1906 ebenfalls ausgezeichnet und trainierte neun weitere Nobelpreisträger in Physik und Chemie. Ausgehend von Strutt folgten ihm mit 228 die meisten akademische Nachkommen, die ebenfalls den Preis erhielten. Der Nobel-Staffelstab übergaben sie als Men­to­r*in­nen an ihre Schü­le­r*in­nen über Generationen hinweg. Selbst wenn sie mal eine Generation aussetzen.

Geht man also in ein Labor, in dem schon einmal ein*e Nobelpreisträger*in gearbeitet hat, steigen die Chancen, selbst einen zu bekommen.

Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Womöglich fördert Talent wiederum Talent und zieht dieses an. Aber auch Klüngelei könnte ein anderer Grund sein. Indem etwa No­bel­preis­trä­ge­r*in­nen ihren wissenschaftlichen Nachwuchs immer wieder für den Preis nominieren. Denn nur wer von anderen vorgeschlagen wird, kann einen Nobelpreis überhaupt erhalten. Wer nominieren darf, entscheidet das Nobelpreiskomitee.

Auch das könnte zu den immer gleichen Typen führen, die den Nobelpreis gewinnen. Am Ende bleibt alles gleich.

Ein Preis des Globalen Nordens

Vier von fünf Nobelpreistragenden kommen aus Europa oder Nordamerika. Besonders häufig gingen die Preise in die USA, nach Großbritannien und Deutschland. Preisträger aus anderen Ländern haben im Verlauf ihrer Forschungskarriere häufig dort gearbeitet. Das Bewusstsein dafür ist in der Nobelpreiskommission zwar gewachsen, so wurde mehr über Herkunft und Geschlecht gesprochen. Aber in den Vergaben zeigt sich das nicht.

Einer der wichtigsten Gründe liegt im Kapital. Forschung kostet Geld, davon haben die großen etablierten Institutionen viel und sie werden staatlich gut gefördert. Ein Ansatz dagegen können Forschungskooperationen sein. Die Macht in ihnen haben aber zumeist die mit dem Geld und so entstehen teils neue Abhängigkeiten. Aber es geht auch um Veröffentlichungen. Am wichtigsten sind die Erst-Autor*innenschaften, also zuerst im Paper genannt zu werden, sowie die Zitate. Dafür sinken die Chancen, wenn die Forschenden aus dem Globalen Süden kommen, zeigt auch eine Studie des Soziologen Charlie Gomez im Fachmagazin Nature Human Behaviour. Also stehen Forschende in Kooperationen häufiger hinten dran und treten seltener als Führungspersonen auf. Ein kleiner Shift ist dennoch sichtbar. In den letzten 30 Jahren gewannen zunehmend auch Menschen vom asiatischen Kontinent, allen voran Japan. Preis­trä­ge­r*in­nen gab es zudem aus Israel, Indien und China.

Auch vom afrikanischen Kontinent gab es Preis­trä­ge­r*in­nen in den Naturwissenschaften – insgesamt acht. So gut wie alle haben europäische Eltern.