Assistenz von Menschen mit Behinderung: Schritt für die Menschlichkeit

Menschen mit Behinderung wollen einen höheren Tariflohn für ihre As­sis­ten­t:in­nen. Es geht dabei auch um ihre Selbstbestimmung.

Einige Menschen im Rollstuhl auf einer Kundgebung bei der Senatsverwaltung für Soziales.

Wollen der Sozialsenatorin ins Gewissen reden: Menschen auf der Kundgebung vor der Senatsverwaltung Foto: Dann Pettersson

Berlin taz | „Ein kleiner Schritt für die Senatorin, aber ein großer Schritt für die Menschlichkeit“, ruft Aktivist Bastian Beekes am Donnerstagnachmittag vor der Senatsverwaltung für Soziales. Etwa 40 Menschen mit und ohne Behinderung sind hier zusammengekommen, um Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe ins Gewissen zu reden, wie sie sagen.

Sie sind gekommen, um eine Lohnerhöhung für persönliche As­sis­tent:in­nen von Menschen mit Behinderung zu fordern. Genauer gesagt: Für Assistent:innen, die direkt von ihren behinderten Ar­beit­ge­be­r:in­nen angestellt werden, im sogenannten Arbeitgeber:innen-Modell.

Was verklausuliert klingt, meint nicht weniger als eine vollumfängliche, selbstbestimmte Unterstützung im Alltag. Menschen mit Behinderung können sich mit diesem Modell ihre Assistenz selbst aussuchen und anstellen. Indem sie selbst entscheiden, wer sie unterstützt und wobei, gewinnen sie ein Stück Freiheit zurück. Das ist auch der große Vorteil gegenüber den Assistenzdiensten, die einige stattdessen in Anspruch nehmen.

Seit dem 1. Juli gilt nun für eben jene Assistenzdienste ein Haustarifvertrag. Eigentlich eine gute Nachricht – doch: Nun müsste auch eine Lohnerhöhung für die As­sis­ten­t:in­nen im Arbeitgeber:innen-Modell folgen. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der persönlichen Assistenz“, heißt es darum auf den Transparenten auf der Kundgebung am Donnerstag. Auch die Angestellten der Assistenzdienste unterstützen diese Forderungen und betonen: „Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen.“

Tarifvertrag steht – eigentlich

Eine gewählte Tarifkommission und einen entsprechenden Tarifvertrag für As­sis­tent:in­nen im Arbeitgeber:innen-Modell gebe es schon, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Ivo Garbe. Wo ist also das Problem? Nun, der Lohn der As­sis­ten­t:in­nen kommt aus dem persönlichen Budget der behinderten Arbeitgeber:innen. Diese kritisieren nun, dass der Senat entsprechende Mittel nicht für sie bereitstellt.

Darum ergebe sich so eine unfreiwillige Konkurrenz in puncto Bezahlung: As­sis­tent:in­nen im Ar­beit­ge­be­r:in­nen-Modell verdienen schlechter als ihre angestellten Kolleg:innen. Außerdem bekommen sie bisher keinen Inflationsausgleich – so entstehen unattraktive Arbeitsbedingungen.

„Wir, die behinderten Ar­beit­ge­be­r:in­nen, finden darum keine As­sis­ten­t:in­nen mehr“, sagt Bastian Beekes, der in der Arbeitsgemeinschaft der Ar­beit­ge­be­r:in­nen organisiert ist. Mitstreiterin Christine Damaschke folgert: „Wenn keine Assistenz mehr für uns arbeiten wird, ist das zum Teil lebensbedrohlich.“ Die Alternative wäre für sie eine Unterbringung im Heim. So viel zum Thema Selbstbestimmung.

Und die Sozialsenatorin?

Die De­mons­tran­t:in­nen vor den Türen der Sozialsenatorin prangern deren Untätigkeit an, dabei hätten sie eine Reihe von Einladungen ausgesprochen. Gegenüber der taz vermeldete die Senatsverwaltung, sie arbeite gerade an einer „Fachlichen Weisung zur Kalkulation der Leistung“ für Assistent:innen.

Außerdem verwies sie auf ihr verfügbares Budget. „Es kann nicht sein, dass die Sparmaßnahmen des Senats auf Kosten der Menschen mit Behinderungen gehen“, findet Gewerkschafter Garbe. Die behinderten Ar­beit­ge­be­r:in­nen wünschen sich vor allem, als Menschen und nicht als Kostenfaktor gesehen zu werden.

„Wenn jetzt nicht dringend gehandelt wird, steht dieses Modell komplett infrage“, sagt Garbe. Mit­strei­te­r:in Jules Butzek richtet die Worte direkt an die Politik: „Wenn wir in zwei Wochen nichts gehört haben, müssen wir wiederkommen.“ Es ist also davon auszugehen, dass der Protest eher lauter als leiser wird.

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