taz🐾thema
: degut

die verlagsseiten der taz

Nachhaltig am Start

Berliner Start-ups sind divers aufgestellt, bei vielen spielt für die Gründung die Senkung des CO2-Fußabdrucks eine wichtige Rolle

Von Volker Engels

Mit Gründungen kennt sich Tim Fronzek aus. Zusammen mit vier Kom­mi­li­to­n:in­nen gründete er vor rund 20 Jahren eine Firma, die später als Internethandelsplattform für Gebrauchtware unter dem Namen „Rebuy“ bekannt wurde. Seit 2022 ist der Mitgründer und ehemalige Geschäftsführer der Handelsplattform auf neuen Pfaden unterwegs. Zusammen mit einem promovierten Mikrobiologen startete er im Februar 2022 in Berlin mit Nosh.bio eine neue Firma, die Fadenpilze züchtet, um daraus einen natürlichen Grundstoff für die Herstellung von Fleischersatzprodukten zu gewinnen. Mit diesem Grundstoff lassen sich auch chemische oder tierische Zusatzstoffe in Soßen, Eiscremes oder Milchprodukten ersetzen.

„Wir wollten der Nahrungsmittelindustrie ein hochwertiges tierfreies Produkt anbieten können, das beim Geschmack, der Konsistenz und vor allem beim Preis wirklich massenmarkttauglich sind“, so der Geschäftsführer. Denn die industrielle Massentierhaltung habe einen miserablen CO2-Fußabdruck und sei auch maßgeblich für die Abholzung der Regenwälder verantwortlich.

„Ich glaube, dass das nur funktioniert, wenn die Menschen in einem Durchschnittshaushalt sich qualitativ hochwertige Fleischalternativen, die auch gut schmecken, finanziell leisten können“, betont Fronzek. Denn viele Menschen seien im Moment einfach nicht in der Lage, deutlich höhere Kosten für fleischfreie Lebensmittel zu bezahlen. Hierfür nutzt Nosh.bio das wurzelähnliche fadenartige Geflecht, das sich zum Beispiel bei Waldpilzen im Boden erstreckt. Der Fadenpilz ist in diesem Fall ein mit Wasser gefüllter Tank, der mit Kohlenstoff und Sauerstoff angereichert wird. Nach 48 bis 55 Stunden kann der Pilz aus dem Wasser gefiltert werden. Etwa 30 Grad reichen für das Wachstum, die dabei entstehende Wärme lässt sich für den weiteren Produktionsprozess nutzen.

Der Grundstoff aus den Fadenpilzen wird bei einem Dienstleister in Italien produziert, seit Oktober 2023 wachsen sie auch in den Edelstahltanks einer stillgelegten Brauerei in der Nähe von Dresden. „Wir können stillgelegte Brauereien so umrüsten, dass wir dort produzieren können“, so Fronzek. Das spare Kosten in Millionenhöhe und nutze die vorhandene Infrastruktur.

Labor- und Büroflächen hat das junge Unternehmen mit rund 20 Beschäftigten, die aus den Bereichen Mikrobiologie, Lebensmitteltechnologie oder Betriebswirtschaft kommen, im Berliner Technologiepark Adlershof gefunden, wo sich zahlreiche Start-ups angesiedelt haben und dort von einem breiten Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft profitieren. „Wir haben eine sehr diverse Belegschaft“, betont Fronzek. Die aktuell 20 Mitarbeitenden kämen aus vier Kontinenten. „Das Team ist bunt gemischt.“

Diese Vielfalt in der Gründungslandschaft ist keine Ausnahme, wie der aktuelle „Start­up Monitor“ des Startup-Verbands belegt. Der Anteil der Grün­de­r:in­nen mit Einwanderungsgeschichte liegt demnach bundesweit bei knapp 18 Prozent. Internationale Mitarbeitende machen bundesweit im Schnitt fast ein Drittel der Belegschaft aus, in Berlin kommen mehr als 42 Prozent der Mitarbeitenden in Start-ups aus dem Ausland. Der aktuelle „Startup Monitor“ zeigt aber auch, dass die Gründerinnenquote weiterhin niedrig beziehungsweise leicht rückläufig ist: Mit knapp 19 Prozent ist sie bundesweit im Vergleich zum Vorjahr um rund zwei Prozent gesunken.

Am 11. und 12. Oktober finden die Deutschen Gründer- und Unternehmertage (deGUT) statt. Auf Deutschlands größter Gründungsmesse kann man sich rund um Existenzgründung und Unternehmertum informieren und beraten lassen. Veranstaltungsort ist die Arena Berlin in Treptow, mit Ausstellern, einem Beraterforum im Messebereich sowie Seminarprogramm für die Besuche­r:innen.

Als Carolin Kleinert sich 2019 mit zwei Kollegen als Gründerin des Start-ups Footprint Technologies selbstständig gemacht hat, war der Frauenanteil bei den Gründungen noch geringer als heute. „Für mich war das aber auch ein Ansporn, es trotzdem zu versuchen.“ Mit zwei ehemaligen Arbeitskollegen nahm sie Zeit und angespartes Geld in die Hand, um das Start-up in Berlin auf die Beine zu stellen. „Wir waren damals ziemlich genervt, dass wir online bestellte Schuhe immer wieder zurückschicken mussten, weil sie von der Größe oder der Passform nicht stimmten.“

Daraus entstand die Idee, eine KI-basierte Software für Online-Schuhhändler zu entwickeln, mit denen die Käu­fe­r:in­nen zu Hause präzise ihre Fußgröße vermessen können, um die passenden Schuhe im Shop zu finden. Das Messverfahren ist einfach: Die eigenen Füße werden auf ein weißes Din-A4-Blatt gestellt und mit dem Smartphone fotografiert. Das Blatt dient als Größenreferenz. Aus dem hochgeladenen Bild berechnet die KI die präzise Fußgröße und empfiehlt den richtigen Schuh.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Gründer:innen: „Es ist unglaublich, wie viele Retouren täglich hin und her geschickt werden, dabei entstehen vermeidbare CO2-Emissionen und Verpackungsmüll, den wir reduzieren wollen.“ Inzwischen arbeiten neben dem Gründungsteam vier Mitarbeitende in der Firma, zwei Freelancer unterstützen aus dem Ausland. Berlin als Gründerstadt findet Carolin Kleinert immer noch spannend: „Es ist hier sehr leicht, interessante Menschen kennenzulernen, es gibt viele Events für Grün­de­r:in­nen, und die Förderprogramme sind gut.“ Die für Start-ups wichtige Investorenszene in Deutschland sei noch immer sehr männerdominiert, sagt die Unternehmerin. Männliche Investoren würden ihr Geld vor allem an männliche Gründer geben. „Mir wurden in Investorengesprächen teilweise sehr private Fragen zum Thema Familienplanung gestellt, das haben meine beiden Mitgründer nicht erlebt.“