Poltern unter der Gürtellinie

Durch tierisch vermintes Gelände mit der Jane Goodall aller Papageien im Vogelpark Walsrode

Lernwillig nicht nur beim gemeinen Fluchen: Papagei Foto: reuters

Von Patric Hemgesberg

„Hey, gib mir’ne Erdnuss, du Pfeife!“, krächzt Gelbbrustara Coco. In der Freiflughalle des Vogelparks Walsrode, Abteilung Tropen, hat sich der prachtvolle Exot nach mehreren Scheinangriffen auf unsere elbischen Fönfrisuren im Strauch gegenüber niedergelassen. Aber gleich geht es weiter: „Meine Oma hatte Schockmauser, und die sah immer noch besser aus als ihr Haargranaten!“

Dr. Karin Weingarten schmunzelt. Die 50-Jährige, die sich in Fachkreisen als „Jane Goodall aller Papageien“ einen Namen gemacht hat, ist Leiterin der Auffangstation für hochintelligente, dreiste Sprechvögel. „Ihre ursprünglichen Besitzer kamen mit dieser wirklich täglichen Flut an Kränkungen und obszönen Beschimpfungen nicht mehr zurecht“, erklärt die studierte Ornithologin. Auf keinen Fall aber sollen die kackfrechen Federknäuel in Walsrode umerzogen werden.

„Anstatt sie nach ihrer Inobhutnahme im achtsamen Tier-Knigge zu unterweisen, lernen die Papageien bei uns, wie sie ihre sprachlichen Fähigkeiten verbessern und gezielt einsetzen können“, so Weingarten. „Dabei machen wir uns eine Strafgesetzbuchlücke zunutze. Nirgends steht da, dass man Tiere für Beleidigungen rechtlich belangen kann!“, reibt sich die Leiterin freudig die kräftigen Hände.

Gegen eine entsprechende Gebühr, die zu 100 Prozent in den Schutz der Regenwälder am Amazonas fließe, können die Dienste der eloquenten Fieslinge ab sofort für private Anlässe gebucht werden. Weingarten führt uns durch eine Flügeltür in den angrenzenden Trainingsbereich. Hier ist inmitten umgestürzter Bierbänke und zerbrochener Maßkrüge das Chaos ausgebrochen. Auf einer von wuchernden Hopfendolden umrankten Bühne wird mit Statisten gerade eine Wahlkampfveranstaltung der CSU nachgestellt. Immer wieder müssen volkstümelnde Bajuwaren Sturzflugattacken abwehren und dabei seitens der Vögel wüste Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Einen hünenhaften Beau am Rednerpult trifft es besonders hart.

„Kreizkruzefix! Schleich di, du oida Hosnbisla! Du großkopfada Breznsoiza, du windiger. Gemma, gemma, gemma!“ Dass der Doppelgänger des bayerischen Ministerpräsidenten schließlich die Nerven verliert und weinend hinausstürmt, entlockt Weingarten nur ein müdes Lächeln. „Ganz ehrlich? Das war noch gar nichts. Kommen Sie!“

Wenig später blicken wir durch eine Panzerglasscheibe in den brandneuen Strömungskanal des Vogelparks. Ein Fluggerät wird bei voll aufgedrehten Turbinen von zwei behelmten Graupapageien mit Pilotenbrillen in die Zange genommen. „In Kooperation mit der Bundeswehr arbeiten wir hier an der Abwehr von Spionagedrohnen durch rhetorisches Vergrämen. Dazu lassen wir unsere russischsprachigen Aras auf eine Höhe mit den Himmelshorchern aufsteigen und die landestypischen Verwünschungen dann direkt ins Mikrofon brüllen.“

Auf die Übersetzung der nicht jugendfreien Fluchformeln möchte unsere Gastgeberin lieber verzichten. Nur so viel darf sie uns verraten: „Im Regelfall stehen die zutiefst gekränkten Drohnenlenker für Sabotageakte anschließend nicht mehr zur Verfügung und brauchen therapeutische Hilfe.“ Weingarten macht vor ihrer Schläfe eine drehende Bewegung mit dem Zeigefinger. Wir folgen ihr in den nächsten Raum.

Auf einem kreisrunden Tisch ist eine Handvoll Großpapageien scheinbar mit Brainstorming beschäftigt. Die Korkplatte ist übersät mit halb verzehrter Kolbenhirse, angeknabberten Südfrüchten und umgekippten Nektarschälchen. In der Mitte steht ein krallentaugliches Kassettenaufnahmegerät, das den Verlauf der Sitzung mitschneidet. „Wir befinden uns im kreativen Zentrum des Vogelparks“, flüstert Weingarten, um die sensiblen Künstler nicht bei der Arbeit zu stören. „Die Topautoren aus meiner Talentschmiede schreiben ihre Spottverse und Schmähgesänge hier schon größtenteils selbst. Was an guten Einfällen übrig bleibt, verkaufen wir dann für viel Geld an die ‚heute-Show.‘“

Nach einem Streifzug durch die Brutstation, in der junge Aras bereits kurz nach dem Schlüpfen ihre ersten Schimpfwörter erlernen, sind wir am Ende der Führung mit Frau Dr. Weingarten. Die Biologin muss los, um unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter an ihrem Meisterstück zu arbeiten. „Beim Kanzlerduell für die Bundestagswahl 2025 sollen meine Rotsteißpapageien Polly, Wurzel und Beppo auf den Schultern der Moderatoren sitzen und die Vorträge der Spitzenkandidaten kommentieren – mit Flüchen hoch zehn“, klatscht die Naturwissenschaftlerin begeistert in die Hände.

Die als Honorar für unseren Rundgang vereinbarte Großvogelnussmischung öffnet Weingarten nach der Übergabe geübt mit dem Schnabel. Leider hat sie danach jegliches Interesse an uns verloren. Kreizkruzefix!