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berliner szenenDie Ratte hat mein Sofa geklaut

Mein Mitbewohner und ich machen Homeoffice. Er versucht, eine Schriftart zu identifizieren, und ich mache Hummus. Wir reden über unsere ersten Zimmerpflanzen, darüber, wie sich unser Alkoholkonsum verändert hat, oder den Wohnungsmarkt. Plötzlich hört mein Mitbewohner auf zu reden. Nach kurzer Stille sagt er in kontrollierter Panik: „Die Ratte ist da.“ Ich lasse den Pürierstab fallen und komme zu ihm. Sie ist gerade hinter das Sofa gelaufen.

Dreißig Minuten später ist die Küche einmal umgedreht worden. Wir haben aus Möbeln, Büchern und sonstigen Objekten einen dichten Gang zum Balkon raus gebastelt. Ganz sorgfältig und vorsichtig, nach vorne gebeugt und möglichst weit weg von dem Sofa stehend, klappen wir das Sofabett aus. Eine Form presst sich gegen den Stoff und krabbelt die lange Seite des Sofas entlang und in die Mitte hinein. Aus einem kleinen Loch im Stoff, das beim unausgeklappten Sofabett nicht ersichtlich gewesen war, guckt ein großes, graues Rattengesicht heraus.

Der Laptop meines Mitbewohners klingelt. Er tritt seinem Meeting bei, während ich im Hintergrund das Sofa zum Balkon herausschleppe. Nach dem Meeting fegen wir den Rattenkot vom Boden weg, wischen, stellen alles zurück und kalkulieren, wie viele Stunden wir an gemütlichen Abenden wenige Zentimeter entfernt von dieser Ratte verbracht haben. Nun ist, bis das Gift wirkt, der Balkon nicht mehr begehbar. So was Gemütliches wie ein Sofa gibt’s nicht mehr, es wird auf Stühlen ferngesehen. Ich habe versucht, meinen Kater auf die Jagd zu schicken, aber er hat sich neben dem Rattenloch einfach hingelegt. Während ich bei Abenddämmerung schreibe, hockt eine alte, runzelige Taube auf dem stillgelegten Sofa. Ein Fuchs schleicht im Hinterhof umher. Wir sind doch nur zu Gast. Nina Kashi Street

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