Gesegnete Wellness

Der Philosoph Herbert Schnädelbach über die Erbsünde, törichte Bischöfe und Glaubens-Gefühle

Interview: DANIEL WIESE
und BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Schnädelbach, in einer der erbittersten theologisch-philosophischen Debatten der vergangenen Jahre haben sie dem Christentum die „Selbstauflösung“ empfohlen. Jetzt treten Sie beim Kirchentag auf. Passt das zusammen?

Herbert Schnädelbach: Ich habe dort nur zugesagt, weil die Veranstaltung, bei der ich auftrete, nichts mit dieser Debatte zu tun hat. Es geht dort um die Frage der Erinnerungskultur.

Also empfehlen Sie den Kirchentagsbesuchern nicht, ihr Christentum aufzugeben?

Nein, eher nicht. Das ist auch ein bisschen eine verkürzte Wiedergabe. Mein Artikel …

... der vor fünf Jahren in Die Zeit erschienen ist ...

… war kein Angriff auf Religion überhaupt. Ich habe behauptet, dass das Christentum Geburtsfehler hat – etwa die Lehre von der Erbsünde. Die sind aber so tief mit seiner Identität verbunden, dass ihre Korrektur den Unterschied zu einem aufgeklärten Judentum beseitigen würde. Und das wäre zu wünschen.

Stichwort Erbsünde: Was stört Sie an der Idee eines erlösungbesdürftigen Menschen?

Ich bestreite ja nicht, dass wir in Verhältnissen leben, die zu glorifizieren kein Anlass besteht. Aber das ist etwas ganz anderes, als dem Menschen einzubläuen, dass er nichts taugt und sich erlösen lassen muss. Das Christentum hat so versucht, den Menschen den aufrechten Gang auszutreiben, um selbst als große Erlösungsmacht aufzutreten.

Bleibt danach noch was vom Erlösungs-Gedanken übrig?

Erlösung kann vieles bedeuten. Sie ist zum Beispiel im Neuen Testament immer auch aufgefasst als Versöhnung. Das ist eine utopische Gedankenfigur, auf die wir nicht verzichten sollten. Was wir aber nicht glauben sollten: Dass wir Versöhnung herbeischaffen könnten. Was wir schaffen können, ist Frieden. Aber Frieden ist nicht Versöhnung.

Sondern?

Frieden heißt, leben können mit den Differenzen. Das ist die Fähigkeit der Konfliktbewältigung. Versöhnung ist dagegen die Vorstellung, dass alle Konflikte beendet sind. Das kann man nur, wenn man an Gott glaubt, von ihm erhoffen. Sie sehen: Ich bin gar nicht so unreligiös.

Wie kommt’s?

Seit der erwähnten Debatte ist mein Interesse an der Theologie wieder gewachsen. Was ich gelernt habe: Dass die Theologie immer auch ein Motor der Aufklärung war. Und wir brauchen heute eine Koalition der säkularen Aufklärung mit den Theologen gegen den Fundamentalismus – gegen ein Christentum ohne Theologie. Da gibt es überhaupt so etwas wie Selbstkritik oder Religionskritik nicht, sondern eine Gruppe von Leuten, die sagt, wo die Glocken hängen.

Aber Sie schreiben doch auch: „Wo das Christentum tolerant wird, hat es sich in Wahrheit schon aufgegeben.“

Das bezieht sich auf den Glauben. Ich denke, Glauben im religiösen Sinne lässt Toleranz nicht zu. Religion ist die Antwort auf die erste Frage des Heidelberger Katechismus: ,Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?‘ Das heißt, das unbedingte Vertrauen, dass alles von Gott kommt. Das hat mich schon als kleiner Junge immer gewundert: Wenn es einem gut ging, war das Gottes Segen, wenn es einem schlecht ging, hieß es: Das ist Gottes Prüfung. Derart alles auf eine Karte zu setzen – das ist mit Skepsis und Toleranz nicht zu vereinbaren. Der Glauben ist keine Form des Wissens, sondern Vertrauen, das nur im Ganzen erschüttert werden kann. Manche jungen Pfarrer sagen ja, das Christentum sei ‚eine ganz gute Religion für den Westen‘ – Also: für mich sind das Heiden.

Die glauben nicht mehr?

Eben. Die machen so eine Art von Kulturprotestantismus im Bezug auf die westliche Lebenswelt.

Was bleibt denn vom Glauben übrig?

Da muss ich jetzt ein bisschen ausholen. Also: Ich war erstaunt über die Reaktionen der Kirchenoberen auf den Tsunami im Indischen Ozean. Das war ja nun vergleichbar mit dem Erdbeben von Lissabon ....

.... ein wichtiges Datum der Kulturgeschichte.

Ja, denn dieses Erdbeben von 1755 hat auch eine kulturelle Erschütterung verursacht, die weit hinein reichte ins 19. Jahrhundert: Die fundamentale Erschütterung des Glaubens an die Allmacht Gottes. Der Tsunami hat bei uns dagegen nur ein kurzes Rauschen im Blätterwald erzeugt mit zum Teil törichten Äußerungen unserer Bischöfe.

Welche meinen Sie?

Zum Beispiel die des EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber: Der hat gesagt, nicht der Glaube in die Allmacht Gottes sei erschüttert. Sondern nur unsere eigenen Allmachtsvorstellungen.

Was wäre denn eine angemessene Reaktion gewesen?

Was ich von unseren Bischöfen erwartet hätte, wäre so etwas gewesen wie Protest. Das ist doch eigentlich ein Grund, mit Gott zu hadern. Aber nichts! Stattdessen so ein pazifizierendes Gerede – wir müssen eben demütig sein. Und das war’s. Das ist doch ein Indiz dafür, wie gering die Bedeutung des Gottesglaubens in unserem Alltag ist.

Nicht für die Strategie, die Menschen klein zu halten?

Weniger. Der Hauptpunkt ist: Warum regt sich die Christenheit nicht auf? Weil sie im Ernst gar nicht mit Gott rechnet. Für mich heißt das: Wir leben jenseits des Christentums. Unsere Lebenswirklichkeit ist postreligiös.

Also ein zu lauer Glaube?

Wie gesagt – ein Indiz dafür, dass sich Gott aus unserem Alltag zurückgezogen hat. Oder vielmehr, dass wir ihn herausgezogen haben. Und das genau betrifft die Frage der Spiritualität. Wir stehen ja jetzt vor dem Kirchentag und ähnliche Veranstaltungen haben wir kürzlich beobachtet...

Sie meinen den Papst-Tod?

Ja, diese unglaublichen Aufmärsche bei der Beerdigung. Ich finde, der Spiegel-Titel dazu, „Das Gefühl des Glaubens“ – das trifft den Nagel auf den Kopf.

Sind solche gefühligen Massen bedrohlich?

Ach, ich denke nicht, dass diese Massen bei der Papstbeerdigung oder beim Kirchentag sozial gefährlich sind. Aber die Frage ist: Was wird dort erwartet, was wird dort gefunden.

Was wird dort erwartet?

Das Gefühl des Glaubens, verbunden mit einem Gemeinschaftserlebnis, und das Ganze ist mit spirituellen Obertönen instrumentiert. Das nimmt man gerne mal mit. Aber für den Alltag hat es keine Bedeutung. Um es ketzerisch zu formulieren: Für mich ist der Kirchentag eine Wellness-Veranstaltung.

Das ist Selbstbetrug, oder?

Wieso? Man kann ja auch in ein Wellness-Hotel gehen – und das hat auch nichts mit Betrug zu tun. Ich möchte das gar nicht verächtlich machen. Warum sollten die Leute so ein Angebot nicht annehmen? Aber was passiert, ist doch nicht primär theologische Aufklärung oder Verkündigung des Gotteswortes. Nicht der Glaube wird vermittelt. Sondern das Gefühl des Glaubens.