Ingwar Perowanowitsch Radsam zur COP
: Mit Kissen – aber ohne Kocher

Foto: privat

Ich mühe mich durch die Ebenen Bulgariens. Auf der Karte ist Istanbul nah, doch nach Sofia, der Hauptstadt, sind es immer noch über 600 Kilometer. Das ärmste Land der EU ist groß und dünn besiedelt. Zwei Tage radel ich durch trockenes Busch- und Ödland auf schnurgeraden, ereignislosen Straßen. Ein guter Zeitpunkt also, um sich in dieser Kolumne den drei Fragen zu widmen, die ich während der Reise am häufigsten höre. Fragen zum Thema Ausrüstung, Navigation und alles rund um Visa.

Ich vertraue auf meine altbewährte Camping-Ausrüstung. Ein 2-Personen Tunnelzelt (2,3 kg), ein Schlafsack aus Kunstdaunen (1,2 kg) und eine selbst aufblasbare Isomatte (640 g). Dieses Trio ist für mich unverzichtbar. Zwar wäre es möglich, jede Nacht in Hotels oder Hostels zu schlafen, doch dabei gehen Flexibilität, Unabhängigkeit und vor allem unvergessliche Erlebnisse verloren.

Sich abends, wenn die Sonne untergeht, auf die Suche nach einem schönen Zeltplatz zu machen, gehört zu den besonderen Momenten dieser Tour, genauso wie im Dunkeln vor dem Zelt zu sitzen und in den Himmel zu schauen und später in den Schlafsack zu kriechen – all das können Hotels einfach nicht bieten, ganz egal wie verlockend eine tägliche Dusche und ein Bett auch sein mögen. Freiheit schlägt Komfort, auch wenn ich neuerdings auf einen Luxus nicht mehr verzichten möchte: ein kleines Kopfkissen, eine Investition, die sich auf dieser Reise besonders ausgezahlt hat.

Nur ein Kocher hat es aus Platzgründen nicht mehr ins Reisegepäck geschafft. Essen gehen ist im Balkan und in der Türkei preiswert und gut, und Brot, Aufstrich, Obst und Gemüse lassen sich auch gut kalt verzehren.

Beim Navigieren setzte ich auf eine Mischung aus Google Maps, der App Komoot und physischen Landkarten des Reise-Know-How-Verlags. Zusammen sind sie ein gutes Team um verkehrsarme, zielführende und möglichst asphaltierte Straßen zu finden. Doch jedes Medium hat seine Stärken und Schwächen, und unter Radreisenden herrscht der Konsens: Die perfekte Reiseapp für Radfahrer muss noch erfunden werden.

Bezüglich Visa muss ich mir auf dieser Reise zum Glück kaum Gedanken machen. Der deutsche Pass gehört zu den stärksten der Welt und so ist die Einreise in alle Länder entlang des Weges visafrei möglich.

Was Aserbaidschan betrifft, hat sich ein Problem vor Kurzem auf wundersame Weise gelöst. Offiziell hat Aserbaidschan aus „Coronagründen“ seine Landesgrenzen weiterhin für den Personenverkehr gesperrt. Die Einreise ist nur auf dem Luftweg möglich. Doch einen Tag nachdem mein erster Beitrag dieser Reisekolumne veröffentlicht wurde, bekam ich eine Mail vom Auslandsbüro des Landes mit dem Angebot, mir eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, um mir eine flugzeugfreie Reise zur Weltklimakonferenz zu ermöglichen. Das war eine große Freude, denn so kurz vor dem Ziel doch ins Flugzeug steigen zu müssen, hätte dieser Reise nicht gut gestanden.

Die Reise steht bislang also unter einem guten Stern. Vor wenigen Tagen habe ich es in die Türkei geschafft und die ersten Kilometer zeigen mir schnell: Dieses Land ist anders. Im negativen Sinne, weil ich postwendend von einem Militärkonvoi mit angelegten Maschinengewehren angehalten und kontrolliert werde, aber vor allem im positiven Sinne, weil die Menschen mir hier mit einer unglaublichen Offenheit und Herzlichkeit begegnen. Die Ankunft in Baku würde sich signifikant verspäten, würde ich all die Einladungen zum türkischen Çay und Kaffee annehmen.

Ohne Fliegen geht es nicht? Der Autor Ingwar Perowanowitsch will im November an der COP29 teilnehmen, der diesjährigen Weltklimakonferenz in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Die rund 5.000 Kilometer fährt er klimafreundlich mit dem Rad. In seiner Kolumne „Radsam zur COP“ nimmt er die taz auf die Reise mit.

Mittlerweile habe ich endlich Istanbul erreicht. Hier feiere ich die nächsten Tage Halbzeit und organisiere den zweiten Teil dieser bislang so schönen Reise.