„Die USA haben eine China-Phobie“

Die EU will Abgaben auf chinesische E-Autos erheben. Deutschland ist dagegen. Bernd Lange (SPD), Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, verteidigt das Brüsseler Vorgehen. Zölle sind für ihn Anreiz, um überhaupt mit China in Verhandlung treten zu können

China hat gewaltige Überkapa­zitäten im E-Auto-Segment geschaffen. Nun wollen die chinesischen Firmen Europa mit ihren Fahrzeugen überschwemmen Foto: Xiao Yijiu/Xinhua/dpa

Interview Eric Bonse

taz: Herr Lange, mit der Führung in Peking gibt es Streit über die drohende Schwemme chinesischer E-Autos nach Europa. Die EU wird sie mit großer Mehrheit der Mitgliedsstaaten am Freitag beschließen. Deutschland möchte sie nach Möglichkeit vermeiden, wie sehen Sie das?

Bernd Lange: Zunächst einmal sind das keine Strafzölle. Es geht um Ausgleichszölle, und es geht um Evidenz. Da muss man eben gucken, wie die Subventionen geflossen sind. Deswegen waren die Chinesen fünf Wochen hier und haben jede Zahl überprüft. Und dann gab es zweimal Anpassungen der Zollhöhe. So machen wir das immer. Am Ende soll der Konsument oder die Konsumentin entscheiden können, ob sie hier BYD kauft oder Volkswagen.

taz: Sie plädieren nicht dafür, alles zu tun, um diese neuen Zölle zu verhindern?

Lange: Nein. Wir haben eine klare Gesetzgebung. Die haben wir reformiert, um sicherzustellen, dass unser Markt offen bleibt – ob es nun aus China kommt oder aus Kenia oder sonst woher. Aber die Bedingungen müssen entsprechend der WTO-Regeln fair sein. Die Zölle sind für mich immer ein Anreiz, um eine vernünftige Verhandlungslösung zu finden, sodass illegale Dumping- und Subventionsmaßnahmen aufhören.

taz: Die Zölle sollen wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl in den USA eingeführt werden. Zufall?

Lange: Wir haben viel früher mit unseren Untersuchungen bei den E-Autos angefangen. Und die Verhandlungen sind auch noch nicht abgeschlossen. Der Stichtag ist der 30. Oktober.

taz: China hat Vergeltung angedroht und eine Untersuchung zu europäischen Milchprodukten eingeleitet. Derweil versuchen die USA offenbar, chinesische E-Autos von den Straßen zu verbannen. Droht ein neuer Handelskrieg?

Lange: Die USA haben wirklich eine Chinaphobie, das muss man schon sagen. Sie versuchen jetzt ja auch, in europäische Firmen hineinzuregieren, etwa beim niederländischen Chiphersteller ASML. Das ist nicht in Ordnung, das müssen wir uns noch einmal näher ansehen. Aber einen europäischen Handelskrieg mit China sehe ich nicht.

taz: Die deutschen Autohersteller machen sich große Sorgen.

Lange: Erinnern Sie sich noch an die „gelbe Gefahr“? Das war mal ein Spiegel-Titel. Wir hatten ähnliche Situationen vor 45 Jahren mit japanischen Anbietern gehabt und vor 30 Jahren mit koreanischen Anbietern. Das hat sich dann mit der Zeit eingespielt. Wenn es irgendwann einen signifikanten Marktanteil der Chinesen bei E-Autos in Europa geben sollte, werden sie anfangen, auch hier zu produzieren – vielleicht sogar in Brüssel. Das ist dann auch richtig und gut so – dann entscheidet eben der Markt. Und in dem Fall bin ich ein überzeugter Anhänger des Marktes, der das entscheiden sollte.

taz: Sie leiten seit zehn Jahren den Ausschuss für Internationalen Handel im Europaparlament. Fast genauso lange streiten die EU-Staaten schon über das Ceta-Abkommen mit Kanada und das Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten – und es ist kein Ende in Sicht. Ist das nicht frustrierend?

Lange: Ich gebe nie auf. Und wir haben in der Zwischenzeit ja auch schon einiges erreicht und unseren eigenen Ansatz geändert. In den EU-Handelsabkommen geht es nicht mehr nur um Freihandel und Marktöffnung, sondern auch um Nachhaltigkeit, Arbeitnehmerrechte, das Pariser Klimaschutzabkommen etc. Das ist ein großer Fortschritt.

taz: Aber die Abschlüsse lassen trotzdem auf sich warten?

Lange: Ja. Das Problem liegt aber nicht bei den Handelspartnern, sondern es liegt bei uns im Agrarbereich und insbesondere in Frankreich. Die Agrarlobby sagt dort sehr deutlich, wir wollen keine Wettbewerbssituation mit anderen Ländern. Und das in einer Situation, wo wir eigentlich mehr Agrargüter exportieren als importieren.

taz: Widerstand gegen neue Freihandelsabkommen gibt es aber auch in Deutschland, Österreich und anderswo. Und Frankreich ist immerhin die größte Agrarnation in der EU.

Lange: Richtig. Deshalb müssen wir jetzt noch mal an unsere gemeinsame Agrarpolitik ran. Das wird die Aufgabe der nächsten EU-Kommission und des designierten neuen Agrarkommissars Hansen sein. Allerdings müssen wir uns irgendwann fragen, ob man auch gegen Frankreich ein Handelsabkommen schließen kann. Der neue Handelsminister in Paris hat sich schon explizit gegen Ceta ausgesprochen und gegen Mercosur. So kann das nicht ewig weitergehen.

taz: Was können Sie als Europaabgeordneter überhaupt tun? Auch wenn Sie den Handelsausschuss leiten – die Abkommen werden von der EU-Kommission ausgehandelt. Reisen Sie durch die Welt?

Lange: In der Tat reise ich viel. Mit dem Lissabon-Vertrag hat das Parlament eine starke Rolle in der Handelspolitik bekommen, aber auch bei den außenwirtschaftlichen Beziehungen. Und deswegen hat man natürlich sehr viel Kontakt zu anderen Ländern. Bei der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf bin ich oft und rede mit den Botschaftern der Länder, auch mit der Generaldirektorin. Und natürlich kümmere ich mich besonders um die Länder, mit denen wir Handelsverträge verhandeln.

taz: Sind Sie auch an anderen EU-Gesetzen beteiligt?

Lange: Ja, in Brasilien habe ich mit Umweltministerin de Silva lange über die Entwaldungsgesetzgebung gesprochen.

taz: Warum?

Lange: Vielleicht ist die Kommunikation der EU nicht so, dass man das auf den ersten Blick als ein partnerschaftliches Ansinnen verstehen könnte. Also versuche ich zu vermitteln. Um die Umsetzung von EU-Gesetzen kümmere ich mich auch. In Vietnam zum Beispiel haben wir ein sehr gutes Abkommen geschlossen. Da schaue ich nach, ob die Bedingungen auch alle eingehalten werden. Insofern habe ich eine vielfältige Aufgabe.

taz: Spricht man sich dabei mit dem zuständigen Kommissar oder der Kommissarin ab – oder läuft das aneinander vorbei?

Lange: Wir sprechen uns schon häufig ab. Das heißt aber nicht, dass ich nur Fragen stelle – im Gegenteil. Ich hatte gerade ein Gespräch mit Handelskommissar Valdis Dombrovs­kis. Hinterher hat eine Mitarbeiterin zu mir gesagt: Oh, Sie können ja auch richtig hart sein!

taz: Ging es da um China?

Lange: Nein, es ging um eine Handelsfrage. Aber das Parlament und der Handelsausschuss haben schon eine eigenständige Rolle, und die ist auch proaktiv. Es ist nicht so, dass wir nur hinterherlaufen und uns am Ende fragen: Sagen wir Ja oder nicht Ja.

taz: Was ist denn im Moment ein besonders heißes Eisen? Der Deal mit Mercosur? Kanzler Olaf Scholz will das Abkommen unbedingt abschließen und macht Druck auf die EU, oder?

Lange: Im Grunde ist das Abkommen fertig, auch das Zusatzprotokoll ist durch. Es hakt eigentlich nur noch in Frankreich. Was die Handelsverhandlungen anbetrifft, beschäftigt uns im Moment mehr die Frage, wie wir mit Australien weiter umgehen. Das Abkommen ist ja nur an ein paar Tausend Tonnen zollfreiem Rindfleisch und Schafsfleisch gescheitert. Und dann wäre da noch Indonesien – da hoffen wir auf einen schnellen Abschluss.

taz: Wie sehen Sie die neue EU-Kommission? Können Sie mit dem designierten Handelskommissar Maroš Šefčovič gut leben?

Foto: Marc Dossmann/European Parliament

Bernd Lange, 68, gehört der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament an. Im EU-Parlament leitet er seit 2014 den Ausschuss für internationalen Handel.

Lange: Šefčovič ist eine gute Wahl. Er kann hart verhandeln und hat sich beim Brexit als zuverlässig erwiesen. Allerdings habe ich schon noch einige Fragen. Die Anhörung im Europaparlament wird sicher spannend.

taz: Šefčovič soll sich nicht nur um Handel, sondern auch um „wirtschaftliche Sicherheit“ kümmern. Was halten Sie davon?

Lange: Die Titel der Kommissare sind alle vage. Wir müssen abwarten, was das in der Praxis bedeutet. Mir ist schon wichtig, dass wir nicht genauso protektionistisch werden wie andere.

taz: An wen denken Sie da in erster Linie?

Lange: Auch an die USA. Die Anti-Coercion-Geschichte (eine EU-Gesetzgebung; die Red.) ist ja entstanden, weil der frühere US-Präsident Donald Trump gedroht hat: Wenn ihr eine Digitalsteuer für meine kleinen Silicon-Valley-Unternehmen einführt, dann gibt’s Zölle auf eure Autos. Er hat versucht, Handelsmaßnahmen als politisches Druckmittel zu nutzen.

taz: Muss sich Europa auf noch mehr Ärger einstellen, wenn Trump zurückkommt?

Lange: Ja, klar. Aber nicht nur mit ihm, auch mit Kamala Harris als US-Präsidentin wird nicht alles gut. Joe Biden hat ja auch nicht alles, was Trump eingesetzt hat, abgebaut – denken Sie nur an die Stahlzölle. Insofern ist damit zu rechnen, dass diese Fokussierung auf die eigene Wirtschaft weitergeht. Und da müssen wir als EU dagegenhalten, um Wettbewerbsgleichheit zu schaffen.