Blaulicht in Mexiko City

Die Serie „Midnight Family“ erzählt pointiert von einer Familie, die einen privaten Rettungsdienst betreibt. Ein Drama über die prekäre Versorgung in Mexiko

In Mexiko-Stadt gibt es mehrere Hundert „ambulancias piratas“ – privat betriebene Notfallwagen Foto: Apple TV

Von Florian Schmid

Während ihres Medizinstudiums darf die junge Marigaby Tamayo (Renata Vaca) eigentlich keine ärztliche Notfallversorgung vornehmen, aber ihre Familie betreibt einen privaten Rettungswagen in Mexiko City. Als sie sich nach einem Erdbeben um Verletzte kümmert und plötzlich als Heldin live im Fernsehen zu sehen ist, bekommt sie mächtig Ärger mit ihrer Professorin an der Uni.

Die zehnteilige Serie „Midnight Family“ bei Apple TV+ basiert auf dem gleichnamigen Dokumentarfilm, der 2019 mit Fördermitteln des Sundance Filmfestivals produziert wurde und Kritiker begeisterte. Erzählt wird die Geschichte einer Familie, die in Mexiko-Stadt generationenübergreifend mit eigenem Ambulanzwagen notfallmedizinische Dienste anbietet.

In der ganzen Metropolenregion mit 10 Millionen Einwohnern gibt es nur etwa 80 offizielle Notfallrettungswagen, im Vergleich dazu hat Berlin ca. 150 Notfallwagen bei einer Bevölkerung von 3,5 Millionen Einwohnern. Daneben existieren in Mexiko-Stadt mehrere Hundert privat betriebene Notfallwagen, sogenannte „ambulancias piratas“, um deren medizinischen Standard immer wieder gestritten wird.

Aus diesem Stoff hat Apple TV+ jetzt eine Dramaserie gemacht, die von der Familie Tamayo erzählt, die nächtelang durch Mexiko City fährt auf der Suche nach Menschen, die medizinisch versorgt werden müssen.

Wenn Vater Ramon (Joaquín Cosío), Sohn Marcus (Diego Calva) und der gerade mal zehnjährige Julito (Sergio Bautista) zusammen mit der angehenden Ärztin Marigaby Unfallopfer bergen oder auf Straßenfesten und in Clubs Blessuren nach Schlägereien versorgen, müssen sie ihre Patienten hinterher zur Kasse bitten. Die meisten haben keine Krankenversicherung. Nicht selten liefern sie sich Wettrennen mit anderen privaten Ambulanzwagen, sobald per Funk ein Notruf eingeht, denn ohne Patienten gibt es kein Geld.

Sie erzählt pointiert von den krassen Klassengegensätzen der mexikanischen Gesellschaft

Wie prekär die medizinische Versorgung in Mexiko ist, wird auch klar, als Vater Ramon wegen Herzproblemen eine Bypassoperation braucht, die die Familie fast in den Ruin treibt. Neben der aufreibenden, nächtelangen Arbeit erzählt „Midnight Family“ auch von privaten Problemen der Familien. Marcus, der an HipHop-Battles teilnimmt, will mit seiner illegal in Mexiko lebenden kolumbianischen Freundin in die USA auswandern. Der kleine Julito schafft wegen der Nächte im Ambulanzwagen kaum die Schule. Und Vater Ramon versucht immer wieder mit seiner getrennt von ihm lebenden Frau anzubandeln – ohne Erfolg. Das alles spielt vor der urbanen Kulisse von Mexiko City, vom Unicampus über abgerissene Fabrikgelände bis hin zu heruntergekommenen Sozialblocks und schicken Vororten. Im Zentrum der zehn Episoden steht die taffe Marigaby, die auch als Erzählerin durch die Geschichte führt. Schafft sie den Sprung von der Sanitäterin, die mit ihrer Familie aus der unteren Mittelschicht einen Ambulanzwagen fährt, in den akademischen Arztberuf oder ist dieser Spagat zu groß? Zwischen ihrer geheim gehaltenen Beziehung zu Raúl (José María de Tavira), einem Arzt an ihrer Fakultät und dem Flirt mit ihrem Kommilitonen, dem gutbürgerlichen Bernie (Itzan Escamilla), der von seiner Arzt-Familie zum Medizinstudium gezwungen wird, versucht sie mehr schlecht als recht Ausbildung und Familienjob unter einen Hut zu bringen.

„Midnight Family“ erzählt pointiert von den krassen Klassengegensätzen der mexikanischen Gesellschaft. Irgendwann lässt Marigaby dann beim Abendessen im Haus ihres Freundes Bernie den ganzen Frust über die betuchte Ärzteschaft heraus, die sich über die oft chaotischen Zustände der privaten Ambulanzwagen lustig macht. „Manche gehen nachts hart arbeiten, während Sie meine Herren gemütlich in Ihren Betten liegen!“

„Midnight Family“ bei Apple TV+