Rückkehr eines Museums

Lange sah es schlecht aus für die Wiedereröffnung des Wassersportmuseums Grünau. Nun ist die Dauerausstellung eröffnet. Zu sehen gibt es vor allem Technik

Die Grünauer Regattastrecke während der Olympischen Spiele 1936 Foto: united archives/imago

Von Martin Krauss

Fast unfassbar“, so wurde 1936 der deutsche Rudererfolg bei Olympia bejubelt. „Ein einziger Tag brachte dem deutschen Rudersport mehr Goldmedaillen als 36 Jahre zusammen“, heißt es stolz im großen Bildband zu den Olympischen Spielen, die in Berlin ausgetragen wurden.

Genauer: Sie fanden in Grünau statt. Die aus deutscher Sicht so enorm erfolgreichen Ruder- und Kanuwettbewerbe wurden in einer Bucht der Dahme ausgetragen. Extra für die Spiele hatten die nationalsozialistischen Organisatoren neben der schon seit 1880 genutzten Regattastrecke ein großes Tribünengebäude errichten lassen. Die Wettkämpfe hier wurden ein genauso großer Propagandaerfolg für das Nazi-Regime wie die Sportereignisse, die im Olympiastadion in Charlottenburg oder am Segelstandort in Kiel ausgetragen wurden.

In der Regattatribüne wurde nun das Wassersportmuseum Grünau eröffnet. Auch hier gilt es zu präzisieren: Es wurde wiedereröffnet, denn die Sammlung hat eine eigene und sehr spannende Geschichte. Erstaunlich ist dabei, dass in der jetzt eröffneten neuen Schau die Nazi-Spiele von 1936 – das eigentliche Top-Ereignis der Grünauer Regattastrecke – fast nebenbei abgehandelt werden.

„Wir wollten diesem Ereignis nicht diesen Stellenwert geben“, begründet Kurator Roland Helms die Entscheidung. Und Veronika Springmann, die Leiterin des Berliner Sportmuseums, sagt, es gehe darum, dass die damaligen Wettkämpfe nicht als aus der Geschichte herausgehobenes Event positiv dargestellt werden dürften. Das hieße schließlich, die Sichtweise des NS-Staates auf die Spiele zu affirmieren. „Das Sportereignis ist ja nicht solitär zu betrachten“, sagt Springmann, „es fand im nationalsozialistischen Deutschland statt.“

Stattdessen, so Helms, wird in der Ausstellung beispielsweise auf die „Köpenicker Blutwoche“ verwiesen. Das war ein schon 1933 von der SA verübtes Massaker, bei dem 500 Menschen verschleppt und gefoltert und mindestens 23 von ihnen umgebracht wurden. Der Zusammenhang mit der Regattastrecke ergibt sich aus der geografischen Lage: Am gegenüberliegenden Ufer der Dahme lag das Bootshaus des demokratischen Wehrverbands „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, das von Nazihorden im Rahmen dieser Blutwoche überfallen und zerstört wurde.

Springmann erinnert zudem daran, dass in der Dauerausstellung auf Biografien verfolgter Sportlerinnen, Bootsbauern, Funktionäre und anderer Akteure verwiesen wird. Etwa auf das Schicksal des Ruderers Fritz Pfeffer, der in der jüdischen Rudergemeinschaft „Undine“ aktiv war und 1944 im KZ Neuengamme ermordet wurde. „Undine“ wurde 1938 verboten, seine Mitglieder verfolgt, deportiert, ermordet – und ihres Bootshauses bemächtigte sich fortan die SA. Nicht anders erging es dem jüdischen Verein „Welle-Poseidon“. Erst 1996 erhielt „Welle-Poseidon“ sein Bootshaus zurück.

Die Dauerausstellung des Wassersportmuseums an der Grünauer Regattastraße ist in vier unterschiedliche große Teile gegliedert: Im ersten Teil geht es um das Rudern als Gesellschaftsgeschichte, im zweiten wird viel Technik vorgestellt, der dritte widmet sich Menschen und Vereinen – etwa der genannten Rudergemeinschaft „Undine“ – der vierte dreht sich um die Natur rund um die Dahme. So wird das geordnet, was unter dem Fachausdruck „Wasserfahrsport“ subsumiert wird: Rudern, Kanu, Segeln, dazu Motorboot- und Wasserskisport, die auch in Grünau betrieben wurden, nicht aber Schwimmen oder Wasserspringen.

Der allergrößte Teil der Exponate, die ausgestellt sind und im Depot liegen, stammt aus der Sammlung von Dieter Philipp. Er war Mathematik- und Physiklehrer in der DDR, lebte in Grünau und war ein passionierter Wassersportler. Ab 1980 baute er privat eine Sammlung mit sporthistorischen Devotionalien auf, zunächst vor allem aus der Rudergeschichte. Mittlerweile soll sie aus etwa 3.000 Objekten bestehen.

Nach 1990 errichtete Dieter Philipp ein kleines privates Museum, 1996 ging der inzwischen an das Land Berlin geschenkte Bestand an das Stadtmuseum, das den Umzug vom Bürgerhaus Grünau auf das Regattagelände organisierte. 2010 wurde das kleine Liebhabermuseum auf Beschluss des Abgeordnetenhauses der Senatssportverwaltung zugeordnet. Dort ist auch das im Charlottenburger Olympiapark beheimatete Sportmuseum Berlin angesiedelt. Das Sportmuseum gibt es schon seit 1990, es ist vor allem aus dem Fundus der Sammlung für ein zentrales Sportmuseum der DDR entstanden – allein, es war viele Jahrzehnte nicht gelungen, ein Haus mit einer Dauerausstellung auf die Beine zu stellen. All das ändert sich derzeit.

In Charlottenburg entsteht ein Berliner Sportmuseum „zu Lande“, für das aktuell der Nordflügel der Maifeldtribüne unter dem Glockenturm umgebaut wird, es liegt unmittelbar gegenüber dem Eingang zur Waldbühne. Und es wurde eben ein Berliner Sportmuseum „zu Wasser“ eröffnet, das in Grünau. „Die beiden Häuser ergänzen sich“, sagt Sportmuseums-Chefin Veronika Springmann. Einiges aus dem enorm großen Bestand sei nun auch in das wieder eröffnete Wassersportmuseum eingeflossen.

Doch die Situation war lange fragil. 2016 wurde das Grünauer Wassersportmuseum geschlossen. Gründer Dieter Philipp beklagte sich damals öffentlich, dass sein Lebenswerk „in sehr unschöner Weise plattgemacht“ worden sei. Seine Objekte, vor allem die Boote, musste er dezentral einlagern. Eine Interimsausstellung im benachbarten Olympiacafé auf dem Regattagelände zog kaum Besucher.

Selbst als beschlossen worden war, dass gemeinsam mit dem Sportmuseum Berlin und mit dem zuständigen Kurator Roland Helms der Bau in Angriff genommen wird, verzögerte sich die ursprünglich für 2022 oder 2023 geplante Wiedereröffnung immer wieder. Die Coronakrise verlangsamte alles, Materialengpässe waren zu beklagen, eine Rohbaufirma ging insolvent. Als dann doch irgendwann alles fertig zu sein schien, folgte erneut ein Rückschlag. Die geplante Eröffnung im März dieses Jahres wurde im allerletzten Moment abgesagt. Ein Wasserschaden hatte das Parkett zerstört.

Berlin bekommt ein Sportmuseum „zu Lande“ und „zu Wasser“

Bei der Wiedereröffnung der Schau im September war Dieter Philipp, mittlerweile 90 Jahre alt, der umschwärmte Stargast. Innen- und Sportsenatorin Iris Spranger bedankte sich ebenso bei ihm wie Treptow-Köpenicks Bezirksbürgermeister Oliver Igel (beide SPD). Philipp selbst trug stolz das Bundesverdienstkreuz am Bande, das er vor wenigen Jahren für sein Engagement erhalten hatte – und für seine „Hartnäckigkeit“, wie Spranger betonte. Philipp selbst zeigte bei der Eröffnung auch deutlich seinen Stolz, dass das, was er vor über 40 Jahren begonnen hatte, nun so professionell präsentiert wird.

Optisch dominiert die Technikabteilung alles. Zwei Boote sind zu sehen, dazu viele Objekte etwa zu Ruderblättern, Surfbrettern, ein altes Klepper-Faltboot aus dem Jahr 1936, der Bug eines Papierbootes, das 1951 von Schülern in der DDR gebaut worden war, oder auch der Kopf eines Drachenbootes, mit dessen Rennen die Regattastrecke zuletzt immer wieder in die Medien kam.

Solche Objekte nehmen schlicht mehr Platz ein als die kleinen Ecken, die an die jüdischen Vereine, den Arbeitersport oder auch an die Anfänge des Frauenruderns erinnern. „Die Boote nehmen natürlich einen sichtbareren Raum ein“, sagt Veronika Springmann, „aber qualitativ sind die Abteilungen alle gleichwertig.“ Vielleicht reichen die zwei an sich gar nicht kleinen Räume für die Dauerausstellung – es sind etwa 280 Quadratmeter – nicht aus, um die Größe des Wassersports in Grünau darzustellen, dessen Anfänge in der Mitte des 19. Jahrhunderts liegen.