Medienbericht zu Sparmaßnahmen: Bahn dementiert Digital-Stopp

Dass die Bahn bei der digitalen Modernisierung spart, durch die mehr Züge fahren könnten, bestreitet der Konzern. Ein Sparprogramm steht aber an.

Volker Wissing mit Helm auf dem Kopf und Warnweste steht neben den Schienen an der Bauestelle der Reidbahn

Digitalminister Wissmann begutachtet die Bauerbeiten bei der Reidbahn, die mit der neuen Technik ETSC ausgestattet wwerrden soll Foto: Andreas Arnold/dpa

Berlin taz | Sagt die Bahn die Digitalisierung ihres Bahnnetzes ab? Einem Bericht des Südwestrundfunks (SWR) zufolge will die für die Infrastruktur zuständige Bahn-Tochter InfraGO einen Stopp der Modernisierungspläne. Dabei gehe es sowohl um digitale Stellwerke als auch um das europäische Zugsicherungssystem ETCS, mit dem eigentlich das gesamte Netz nach und nach ausgestattet werden soll.

Der große Vorteil der Technik liegt in einem erheblichen Kapazitätsgewinn. Auf den Strecken können bis zu 30 Prozent mehr Züge verkehren, wenn die Taktung digital gesteuert wird. Momentan ist ETCS nur auf der noch jungen Trasse zwischen München und Berlin installiert.

Auch die Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt am Main, die gerade für eine Generalsanierung gesperrt ist, wird mit dem Zugsicherungssystem ausgestattet. ETCS ist eigentlich auch ein Kernstück des Projekts Stuttgart 21. Laut SWR, der sich auf interne Papiere der Bahn beruft, will der Konzern nun weniger Geld in die Digitalisierung stecken und beispielsweise auf eine ältere elektronische Stellwerkstechnik zurückgreifen.

Die Bahn dementiert derlei Sparpläne. „Die aktuelle Berichterstattung des SWR ist falsch“, teilte der Konzern am Freitag mit. Die Deutsche Bahn halte an der Digitalisierung von Bahnstrecken fest. Am Knotenpunkt Stuttgart laufe derzeit das größte Digitalisierungsprojekt der Schiene in Europa. Auch würden die Stellwerke serienmäßig digital ausgerüstet.

Enormer Stellenabbau geplant

Klar ist aber auch: Bei der Bahn steht ein großes Sanierungsprogramm an. „S3“ heißt es, das Kürzel steht für eine bessere Infrastruktur, einen verlässlicheren Betrieb und wirtschaftliche Verbesserung. Die Ziele sind nicht neu. Doch nun muss Bahnchef Richard Lutz auf Geheiß von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) auf einen verschärften Sanierungskurs zusteuern.

Innerhalb von drei Jahren soll der Konzern aus einem Verlust von mehr als einer Milliarde Euro einen Betriebsgewinn von zwei Milliarden Euro machen. Das geht aus der Vorlage des Konzepts für den Aufsichtsrat der Bahn hervor.

Insofern wäre zumindest die zeitliche Streckung der Digitalisierungsinvestitionen nicht verwunderlich. Als 2019 die Pläne zur Digitalisierung des Bahnnetzes aufgenommen wurden, lagen Kostenschätzungen dafür bei bis zu 50 Milliarden Euro. Inzwischen dürfte der Betrag angesichts der Preisentwicklung in den vergangenen Jahren noch deutlich höher sein. Zugleich wollen Bund und Bahn die wichtigsten 41 Korridore bis zum Ende des Jahrzehnts generalsanieren. Das erfordert ebenfalls viele Milliarden Euro.

Der Bahnvorstand will mehr Wirtschaftlichkeit unter anderem durch einen erheblichen Stellenabbau erreichen. Rund 30.000 Arbeitsplätze will er streichen. Davon betroffen sind vornehmlich Verwaltungsposten, etwa in der Konzernzentrale. Bei Zugpersonal, bei Lokführern oder Technikern stellt die Bahn weiterhin Leute ein, allein in diesem Jahr 25.000. Insgesamt beschäftigt die Bahn 225.000 Leute, davon sind 75.000 mit Dienstleistungen oder der Organisation befasst.

Auch das Angebot für die Fahrgäste soll sich verbessern, etwa in Sachen Pünktlichkeit. Derzeit kommen nur gut 60 Prozent der Fahrten fahrplangemäß ans Ziel. Bis 2027 sollen es wieder 75 bis 80 Prozent sein. Das wäre zwar von einstigen Spitzenwerten noch weit entfernt, aber schon ein erheblicher Fortschritt.

Kritik an den Sparplänen

Doch in vielen Bereichen bleibt das Sanierungskonzept noch schwammig. Nicht klar wird etwa, wer vom Personalabbau tatsächlich betroffen sein wird. So heißt es im Abschnitt zum Fernverkehr in einer blumigen Überschrift: „Wir ermöglichen allen Mitarbeitern, produktiver zu arbeiten“. Das dürfte den Gewerkschaften sauer aufstoßen, denn die Beschäftigten dort arbeiten schon vielfach am Limit.

Kritik an Wissings Vorstellungen, die der Vorstand nun umsetzen soll, gab es auch schon vom bahnpolitischen Sprecher der Grünen, Matthias Gastel. „Die sieben Forderungen des Bundesministers sind eine Kombination aus Selbstverständlichkeiten, Populismus, Widersprüchen und schwammigen Formulierungen“, sagte er. Ähnlich sieht das auch ein mit „S3“ vertrauter Bahner: „Das ist alter Wein in neuen Schläuchen“.

Derzeit fehlen der Bahn eher Fachkräfte. So können manche Stellwerke gar nicht mehr besetzt werden, vor allem in wenig attraktiven ländlichen Gebieten. Aber: Dort stehen oft auch noch uralte Anlagen. Werden sie durch elektronische Stellwerke ersetzt, entfallen diese Arbeitsplätze.

Auch Künstliche Intelligenz (KI) verhilft zu einer höheren Produktivität bei geringerem Personaleinsatz, etwa wenn sie bei der Wartung von Zügen automatisierte Aufgaben übernimmt. Schließlich forderte Wissing auch, Leistungen an Drittfirmen auszugliedern.

Auf seiner Sitzung im Dezember soll der Aufsichtsrat das Sanierungspaket beschließen. Ob es wirkt, will Wissing dann selbst alle drei Monate überprüfen und sich vom Bahnchef die Fortschritte schildern lassen.

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