Demokratien in Gefahr

Noch bis 12. Oktober läuft das siebte Human Rights Film Festival Berlin. Schon der Auftakt war politisch mit Talkrunden, Dokus und vielen kritischen Anmerkungen

Recherchiert gegen Viktor Orbán: Babette Orsoszi in „Democracy Noir“ von Connie Field Foto: Clarity Films and Real Lava

Von Ruth Lang Fuentes

„Choosing Humanity“ sprayt ein maskierter Künstler im vollen Saal des Kinos in der Kulturbrauerei auf eine Aufstellwand. „Choosing Humanity“ („Menschlichkeit wählen“) ist das Motto des diesjährigen Human Rights Film Festival Berlin, der siebten Ausgabe. Genau darum soll es gehen: Geschichten auf die Leinwand zu bringen von Menschen, die für Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit kämpfen mit Mut, Solidarität und eben: Menschlichkeit.

Besonders präsent ist während des Festivals die Situation der Menschen in Gaza, Israel und Libanon. Schon bei den Eröffnungsreden kommt der Angriff der Hamas vor nun genau einem Jahr immer wieder zur Sprache. „Die Zukunft der israelischen und palästinensischen Bevölkerung und die Hoffnung liegt bei denen, die Frieden suchen“, heißt es. Es soll noch eine Schweigeminute geben, doch verzweifelte Schreie einer Zuschauerin unterbrechen die Eröffnung. Mehrere Minuten braucht es zur Beruhigung.

Dann wird der Saal verdunkelt. Der Eröffnungsfilm „Democracy noir“ leitet das Festival ein und zugleich eines seiner wichtigsten Themen: die Gefährdung von Demokratien und der Presse- sowie Meinungsfreiheit. Die US-amerikanische Regisseurin Connie Field hat sich die Entwicklung Ungarns angeschaut. Über mehrere Jahre begleitete sie drei Frauen, die Widerstand gegen das immer autoritärer werdende Regime Viktor Orbáns leisten: die Politikerin und frühere Aktivistin Tímea, die Aktivistin und Krankenpflegerin Niko und die lesbische Investigativjournalistin Babett Oroszi. Immer beklemmender wird für die drei die Situation in ihrem eigentlich geliebten Heimatland.

„Die Situation ist heute immer noch so wie im Film. Kaum freie Medien, überall nur Propaganda. Es ist traurig“, bemerkt die Protagonistin Babett Oroszi nach Ende des Films. Sie ist zusammen mit Connie Field vor Ort, um mit dem Publikum zu sprechen. Field betont, dass die Gefahr des Zerfalls von Demokratien nicht nur ein ungarisches Problem sei: „Es passiert auch in den USA.“

Auf die Frage, was man tun kann gegen solch eine Situation wie in Ungarn, antwortet Oroszi fast etwas resigniert: „Weiß ich nicht. Falls ihr eine Antwort habt, sagt sie uns bitte.“ Was kann ich tun? Wie kann ich mich aktiv engagieren für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie? Das Festival will den Zu­schaue­r:in­nen Anregungen zum Engagement geben und bietet über Links Zugang zu NGOs und Projekten, die man als Einzelner unterstützen kann. Darunter fallen die großen Themen wie Krieg, Hunger, Verfolgung – das Festival wird ausgerichtet von den NGOs Aktion gegen den Hunger und Reporter ohne Grenzen – aber auch alltägliche wie Suchterkrankungen und Obdachlosigkeit vor unserer Haustür.

Der Abschlussfilm „Hausnummer Null“ von Studenten der Uni Babelsberg beleuchtet diese Thematik. Es geht um die Geschichte von Chris und seinem Kumpel Alex, die versuchen, in Berlin auf der Straße zu überleben. Als Chris nach einer Überdosis in der Klinik landet, gibt ihm das Kraft für eine Veränderung. Ein sehr respektvoller Film auf Augenhöhe mit den Protagonisten.

Die Regisseurin Lilith Kugler lernte Chris 2021 kennen, als sie nach Friedenau zog. Bald entstand die Idee – vor allem durch Chris’ Initiative –, ihn und sein Leben zu filmen, erzählt sie beim Q&A nach der Vorführung. Sie habe dabei eine Nachbarschaft kennengelernt, die sich wie eine kleine Utopie in Friedenau angefühlt hat. Da gibt es Mila und Jens – zwei Nachbarn der beiden Obdachlosen, die sich über Jahre um Chris und Alex kümmern.

Wenige Stunden später geht es in der Kulturbrauerei um einen ganz anderen Konflikt: den Irakkrieg und Wikileaks. In „Guardians of Truth: Julian Assange and the Dark Secrets of War“ konzentrieren sich die Filmemacher Can Dündar und Sarah Mabrouk auf zwei Menschen, die beim Angriff auf Zivilisten 2007 in Bagdad aufeinandertrafen: der Überlebende Sajjad Mutashar und der US-Soldat Ethan McCord. Es ist ein bewegendes Zusammentreffen, das Trauma und Schmerz wieder aufflammen lässt.

Beim anschließenden Panel geht es um Fragen nach Vertrauen in die Medien und um Gerechtigkeit. „Journalisten müssen Aktivisten für die Wahrheit sein“, sagt Julian Assange in einem eingespielten Clip. Und der anwesende WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson ergänzt: „Journalisten dürfen nicht schweigen. Egal ob es sich um Völkermord oder Kriegsverbrechen handelt.“ Er fügt hinzu: „Es wäre eine Art von Gerechtigkeit, wenn die Menschen heutzutage von den Fehlern im Irak lernen würden.“