Wo Bassboxen die heimlichen Stars sind

Um froh zu sein, bedarf es wenig mehr als des Wummerns eines Soundsystems. Eindrücke vom Musikfestival Meakusma im belgischen Eupen

Die Meute im Banne der Bassboxen des 54Soundsystems am Samstag­nachmittag beim Festival Meakusma in Eupen Foto: Fab on the Moon

Von Lars Fleischmann

Ein ungewohnter Blick: Da legt jemand fantastisch auf und keine der Tän­ze­r*in­nen schaut in Richtung des DJ-Pults. Vergangenes Wochenende war das der angenehme Fall, beim Hinterhof-Openair-Dancefloor während des Meakusma Festivals im ostbelgischen Eupen. Dort sind nicht die Auflegenden die Stars, sondern es ist das riesige Dub-Soundsystem des 54Kolaktiv aus Brüssel. Seine warmen, tieftönenden, Basssounds strömen aus einer selbstgebauten Lautsprecherwand. Wie üblich werden sie beim Meakusma hochdivers angesteuert: Neben dem historischen Überblick des Berliner Dub-DJs Arthur spielt unter anderem der Brite Elijah Minelli einen sehr eigenwilligen Mix aus Dub und Volksmusiken. Später am Abend holt der Brüsseler DJ Le Motel wiederum Sounds aus der Anlage, die dem sogenannten Psy-Trance nahekommen.

Ausgangspunkt für diese umsichtige Programmierung ist die vehemente Behauptung des Meakusma Festivals, dass Musik etliche Formen bilden kann – und jede von ihnen ihre eigene Bedeutung annimmt. Mit dieser Bestimmtheit organisiert man ein Festival, dass für viele Jün­ge­r*in­nen randständiger und experimenteller Musiken zum fixen Termin im Kalender geworden ist. Um auf dieses Level zu kommen, brauchte Meakusma je nach Zählweise 20 beziehungsweise 8 Jahre. 2004 gründete sich eine Graswurzelbewegung, ins Leben gerufen von Musiknerds, die im deutschsprachigen Landesteil Belgiens etwas auf die Beine stellen wollten. Auf erste Konzerte folgte ein Plattenlabel – und schließlich kam vor acht Jahren dann das Festival hinzu.

Dub ist wohlgemerkt nur eine von vielen Klangsignaturen, und nicht alle Veranstaltungen finden auf dem weiträumigen Gelände des Alten Schlachthofs statt. Das Festival wächst allmählich in die Kleinstadt hinein. Zum Beispiel in eine große Mall, dem Eupen Plaza, die schon seit Jahren leer steht. Der in Brüssel lebende Franzose Maxime Denuc und der Bühnenbildner Kris Verdonck installierten in einer im Rohbau befindlichen Halle im Inneren des Einkaufszentrums eine Klangskulptur. Maxime Denuc lotet seit einiger Zeit die Verwandtschaft von Barockmusik des 16. Jahrhunderts mit dem zeitgenössischem Trance aus. In der Mall darf dann eine selbst gebaute Orgel in dem spärlich beleuchteten Raum leicht leiernde Klänge von sich geben, die durchaus an große Raves und ihre Sirenen erinnern – und für eine erstaunlich berührende Stimmung sorgt.

Von hier aus geht es einen Hügel hinauf zur Galerie Vorn und Oben, wo das Experimental-Label Dispari gastiert. Die Konzertinstallation der Schweizer Künstlerin Angela Anzi ist später das Bühnenbild für die Hamburger Künstlerin Tintin Patrone und ihr effektgeladenes Posaunenkonzert. Wieder am Schlachthof steht das internationale Publikum für die Münchner Diskurs­pop­band F.S.K. an. Die theoriegeladenen deutschsprachigen Texte aus der Feder von Thomas Meinecke sorgen bei Eng­län­de­r*in­nen und Fran­zö­s*in­nen zwar für Fragezeichen, der rumpelnde New-Wave- und Disco-Beat, der die meisten Stücke antreibt, steht aber im Mittelpunkt. Meinecke sagt: „It’s all about the music!“, aber hebt auch mal an, um auf Englisch über Theodor W. Adornos Lieblingsort Amorbach zu sprechen.

Die Spielhaltung von F.S.K., die auch mal Fehler umarmt, ist geschult am Dilettantismus der frühen Achtziger und dürfte inzwischen eine Seltenheit sein. Viele der jüngeren Kol­le­g*in­nen klingen perfekter: Zahlreiche Sets – von Konzert wagt man kaum noch zu sprechen – kommen aus der Maschine. Die Ausdrucksweisen sind so mannigfaltig, wie es bei über 120 Auftretenden eben normal ist.

Die Ausdrucksweisen sind so mannigfaltig, wie es bei über 120 Auftretenden eben normal ist

Das stetig gewachsene Festival-Programm führt derweil auch zu Zwickmühlen: Möchte man lieber bei landestypischen Pommes frites mit scharfem Senf Kraft tanken oder einfach noch eine künstlerische Darbietung anschauen? Wem kann man erzählen, wie abgebrüht die Amsterdamer Gruppe Devon Rexi Brücken schlägt zwischen Dub, Post-Punk à la ESG und heutiger Community-Radio-Kultur? Oder darüber, wie herzerwärmend familiär das Live-Set des britischen Elektronikproduzenten Dan Nicholls wirkt, der am Samstagnachmittag seine Synthie-Sounds gluckern lässt, während seine kleine Tochter spontan Musik Zeichnungen auf einem Block anfertigt.

Genau dies macht den Charme des Meakusma Festivals doch aus: Jene, die von Programmpunkt zu Programmpunkt im Laufschritt wollen, können das machen. Andere chillen den ganzen Tag über am Soundsystem des 54Kolativ.