Überschwemmungen in Europa: Luft voller Wasser

Die gewaltigen Regenmengen in Mitteleuropa lassen sich auf eine Fünf-B-Wetterlage zurückführen. Wie ist der Zusammenhang mit dem Klimawandel?

Eine mächtige Gewitterfront zieht über dem Mittelmeer auf.

Über dem viel zu warmen Mittelmeer entwickeln sich heftige Unwetter Foto: Bernd März/imago

Ursache des Starkregens war wieder eine Fünf-B-Wetterlage“, sagt Marco Manitta, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst DWD. Fünf-B heißt in der Fachsprache „Vb“, die Bezeichnung steht für die Zugbahn eines Tiefdruckgebiets: Über dem Mittelmeer saugt sich die Luft voller Wasser, die dann über Slowenien Richtung Ost-Mitteleuropa gelangt und viel Regen mit sich bringt.

Mit bis zu 170 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter fiel mancherorts binnen 24 Stunden in Tschechien so viel Regen wie sonst in drei Monaten. Ein Millimeter im Messbecher entspricht einem Liter Wasser pro Quadratmeter, die Behörden rechneten in Prag am Sonntag mit 1.000 Kubikmetern Moldauwasser pro Sekunde – und was dort fließt, kommt wenig später in Dresden an.

Auch an der Donau steigen die Pegel, an der Kamp, einem niederösterreichischen Zufluss der Donau, befürchten die Behörden ein 100-jährliches Hochwasser. Niederösterreich wurde zum Katastrophengebiet erklärt, in Tulln an der Donau kam ein Feuerwehrmann im Einsatz ums Leben. Landeshauptfrau (Ministerpräsidentin) Johanna Mikl-Leitner sprach von den „schwersten Stunden ihres Lebens“ für viele Menschen in dem Bundesland.

„Wieder eine Fünf-B-Wetterlage“, sagt Wetterexperte Manitta, weil vorherige Vbs schwere Überschwemmungen zur Folge hatten: Das Oderhochwasser 1997 war genauso ein Vb wie das Elbehochwasser 2002, die Fluten an Elbe und Oder im Jahr 2013 genauso wie die Überschwemmung in Slowenien und Kärnten 2023 und einige kleinere Katastrophen zwischendurch, wie das Alpenhochwasser 2005 oder die Flut in der Sächsischen Schweiz 2010.

Indizien und Kalter Krieg

Fragt sich: Was ist die Ursache für diese ungewöhnliche Wetterlage? „Die Wassertemperatur im Mittelmeer bewegte sich Anfang September auf Rekordkurs“, sagt Marco Manitta. Je wärmer die Oberflächentemperatur ist, umso mehr Wasser verdampft. Dazu kommt, dass dieses Tiefdruckgebiet zwischen zwei Hochs im Westen und Osten „eingeklemmt ist“, wie es der Meteorologe nennt: „Die Folge ist eine angespannte Dauerregen-Wetterlage.“ Entwarnung könne auch am Wochenanfang nicht gegeben werden.

Führt der Klimawandel zu einer Häufung solcher Wetterereignisse? „Dafür sprechen die Indizien“, sagt Uwe Kirsche, Sprecher des DWD. Wärmere Luft könne mehr Wasser aufnehmen, was die Wissenschaft mit der Gleichung von Clausius-Clapeyron beschreibt: Pro Grad zusätzlich speichert Luft demzufolge sieben Prozent mehr Wasserdampf. Seit 1881 ist es in Deutschland bereits rund 1,6 Grad Celsius wärmer geworden, weshalb Regenwolken heute mehr Wasser aufnehmen können. „Mehr Wasser bedeutet auch mehr Energie“, erklärt Kirsche, weshalb Vb-Wetterlagen auch mehr Zerstörung mit sich bringen.

„Allerdings gibt es noch keine wissenschaftliche Evidenz, dass die Klimaerwärmung mehr Vb-Wetter nach Mitteleuropa bringt“, sagt Kirsche. Um fundierte Aussagen treffen zu können, betrachtet die Klimaforschung mindestens 30-Jahres-Zeiträume, der Deutsche Wetterdienst stellte seine Regenmessmethode vor 23 um. Bis dahin waren einfache Messröhrchen an mehr als 2.000 Messpunkten im Einsatz, an denen die Regenhöhe in Millimetern abgelesen wurde.

Seit 2001 werden dafür nun jene 17 Radarstationen genutzt, die während des Kalten Kriegs feindliche Kampfjets aufspüren sollten. „Dank der Radaranlagen können wir Starkregenereignisse wesentlich zuverlässiger erfassen“, sagt Andreas Becker, Niederschlagsexperte beim DWD. Und jedem Internetnutzer ermöglichen, per Wetter-Apps übers Land ziehende Regenfronten zu verfolgen.

Menschen sterben

Statistisch jedenfalls haben die Vb-Wetterlagen rasant zugenommen: Gab es sie früher einmal in einhundert Jahren, so ist dieses Vb-Tief bereits das dritte dieses Jahr. In Deutschland waren die Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und in Süddeutschland im Frühjahr Folgen von Vb. „Diesmal wird Deutschland vergleichsweise glimpflich davonkommen“, sagt Meteorologe Marco Manitta.

Er nennt es einen „Streifschuss“: Die Regenmassen ergießen sich weiter östlich, in Polen kam bislang ein Mensch ums Leben, in Rumänien ertranken vier Menschen.

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Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.

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