Abgrenzung als Prinzip

„Alles muss repariert werden“, das neue Album derAntilopen Gang, untermauert den Sonder­status der Band als sich selbst wider­sprechende Liedermacher im HipHop

Von Benjamin Moldenhauer

Die Vorabsingle zum neuen Album „Alles muss repariert werden“ kam im April genau zur richtigen Zeit. „Oktober in Europa“ war das einzige deutschsprachige Stück, das das Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und die darauf einsetzende internationale antisemitische Welle wegen des israelischen Gegenangriffs thematisierte. Gerappt mit spürbarem Betroffenheitsgestus, der in der Albumversion durch Streicher und Klagegesang von Sophie Hunger noch verstärkt wird.

Mit dem ungebrochenen Politsongtext sticht „Oktober in Europa“ aus den übrigen Stücken des neuen Albums heraus. Und er ist zugleich exemplarisch, in dem Sinne, dass „Alles muss repariert werden“ wie ein Versuch klingt, alles möglichst negativ und abgeklärt-verzweifelt zu gestalten. Auch wenn die Frage, ob die in der Albumversion von „Oktober in Europa“ hinzugefügten Schluchzgeigen und der Klagegesang Sophie Hungers geeignete musikalische Mittel sind, sich zumindest leise aufdrängt.

Ein anderes Register, das die Band inzwischen routiniert bedient, ist die betont sich selbst widersprechende Positionierung. Antilopen Gang sind eine der Bands, deren Songs in den vergangenen zehn Jahren vom Pop-Feuilleton am liebsten diskutiert worden ist. Was auch deswegen so gut funktioniert, weil Statements zu aktuellen Ereignissen und Textzeilen von der Band selbst wieder relativiert oder ironisiert wurden. Und das gleich 2014, am Anfang der Karriere, mit dem Durchbruchshit „Beate Zschäpe hört U2“. Auf den folgten 2021 im Stück „Nazis rein“ von Antilopenrapper Koljah die Zeilen „Man klopft sich die Schulter wund und füttert das Phrasenschwein / Man hält nur daran fest, wofür man angetreten ist / Doch vielleicht hört Beate Zschäpe heute Antilopen Gang“.

Damit das funktionieren kann, braucht es einen Bedeutungszusammenhang und für die eigene Bedeutsamkeit hat die Antilopen Gang sich die Linke als Kontext, Hassliebe und Gegner zugleich imaginiert, liberal oder radikal. Es ist die Übertragung eines HipHop-Prinzips auf den politischen Diskurs: Man macht klar, dass man, in der Umgebung, über die man rappt, schlicht der Geilste ist.

Martin Seeliger, Sänger der Punkband Shitlers, promovierter Soziologe sowie Co-Autor der Autobiografie von Antilopen-Mitglied Panik Panzer, nannte diese Konstellation in einem 2020 auf dem „Abbruch Abbruch“-Symposium gehaltenen Vortrag eine „Bedarfsgemeinschaft“, die die Band mit der Linken eingegangen sei. Eine mögliche Lösung des Problems, vor dem jede:r* Rap­pe­r*:in steht, so Seeliger, nämlich irgendwas zu finden, über das er rappen kann.

Das zentrale Stück von „Alles muss repariert werden“ ist in dieser Hinsicht „Traumtänzer und Schönmaler“. Es geht gegen die angeblich blauäugige „Wir sind mehr“-Rhetorik: „Ich seh nur Negation als die legitime Haltung an / Alles andere ist Karneval und Ballermann / Ich zieh mich zurück auf die Position des Kritikers / Ich weiß, dass alles falsch ist / Aber nicht, wie man es richtig macht“.

Die Suggestion ist, dass Bedeutsames kommuniziert wird

Als Popsong funktioniert das sehr gut: Maximierte schlechte Laune, die sich als Verzweiflung präsentiert, hat traditionell große ästhetische Strahlkraft, gerade wenn alles widersprüchlich schillert und, wie hier, dann auch noch ungreifbar bleibt, sich alles selbst immer wieder infrage stellt. Heißt auch: Es nicht sonderlich ergiebig, bei einer Band, die ständig mit der eigenen Widersprüchlichkeit kokettiert und den Abgrenzungskrampf zum Prinzip perfektioniert hat, darüber zu streiten, ob das jetzt „richtig“ sei oder „falsch“.

Die erste Frage im Pop ist schließlich nicht, ob ein Stück falsch oder richtig ist, die Frage ist, ob es ballert oder einen berührt oder halt kalt lässt. Und warum. Was dann wiederum die Frage nach dem Versprechen ist, das eine Band ihren Hörerinnen und Hörern macht. Und diese Frage entscheidet sich bei der Antilopen Gang, die zwischen großartigen Tracks und latent wohlfeiler Grütze mit immer wieder überraschenden Ergebnissen hin und her schaltet, vor allem an den Songtexten, die im ausdauernden Endreim vorgetragen werden. Nicht so sehr an der Musik. Über die wird denn auch eher selten gesprochen. Und viel ist da auch nicht zu holen.

Auf dem HipHop-Teil von „Alles muss repariert werden“ ist ein leichter Liedermacher-Einschlag zu hören, im Auftaktstück „Nichts ist für immer“, das melancholisch das traurige Glück der Nichtfestlegung besingt, und im wirklich sehr schönen „Für wenige“. Soundästhetisch hätte dieses Werk jedenfalls auch in den Nullerjahren veröffentlicht werden können.

In der zweiten Hälfte von „Alles muss repariert werden“ spielt die Antilopen Gang zwölf Punkstücke, musikalisch an Bands wie Pisse und Team Scheiße orientiert. Dann wird die Laune besser, die Stimmung hellt sich auf. Und die Songtexte ähneln launigen Alltagsbeschreibungen und kurzen Figurenporträts, zum Beispiel von meinungsstarken Männern, Romantikern und Fitnessstudiobesuchern. Das kommt nach der ersten Albumhälfte wirklich erleichternd und wirkt so, als würde eine Band, die von den eigenen Routinen zunehmend genervt ist, versuchen sich freizuspielen.

Egal in welchem Format, wenn es ballert, erscheint einem, was die Antilopen Gang ablässt, als schlau, witzig, dreimal klug gebrochen und trotzdem auf den Punkt. Dann kann man zu einer These wie der von Samuel Salzborn kommen, der die Ästhetik der Antilopen Gang einst als „Kritische Theorie 2.0“ bezeichnet hat: „Widersprüche ertragen, weil sie objektiv sind, weil Eindeutigkeit gerade in der bürgerlichen Gesellschaft nicht hergestellt werden kann, das Individuum zerrissen ist in den Potenzialen von Freiheit und Emanzipation, die in Momenten möglich sind, aber eben nur jenen, die sich ebendieser Vergesellschaftung entziehen.“

Das Politische nur zur Selbst­inszenierung genutzt? Die Antilopen Gang Foto: Danny Koetter

Wenn die Stücke einem mit Macht auf den Keks gehen, erscheint einem wiederum ein Befund von Martin Seeliger plausibel. Der lautet, dass zumindest das „Politikwerk“ der Antilopen Gang sich für Politik eigentlich nicht sonderlich interessiert, sondern das Politische zur Selbstinszenierung und -verortung nutzt. Das gilt für das neue Album zwar weniger als für die Vorgänger, aber ganz ohne Politik geht es halt nicht. „Ihr seid dumm dumm dumm“, heißt es in „Traumtänzer und Schönmaler“, und wenn man auf so was Bock hat, ist das geil, man soll es nicht verleugnen.

Es scheint bei ihnen eine Form von Bescheidwissen und Überlegensein im Wissen durch, dass die eigene Position auch nicht konsistent sein kann. Durch dieses Wissen noch cleverer zu erscheinen, ist bei den Antilopen eines der zentralen Versprechen. Die Suggestion ist, dass Bedeutsames kommuniziert wird, sonst funktioniert es nicht. Dafür muss das Distinktive als Hauptmotiv aber ausgeblendet werden, zumindest wenn man nicht wirken will wie irgendein arroganter Arsch, sondern eben wie der Topchecker, der man gerne wäre.

Musikalisch und textlich am besten waren schon immer jene Tracks der Antilopen Gang, die unironisch von der eigenen Erfahrung ausgehen und diese so erzählen, dass etwas Allgemeines sich vermittelt. Dann stimmt auch meist der Flow, und die Reime sind weniger staksig. „Outlaws“, „Patientenkollektiv“ und „Trenn dich“ zum Beispiel, um mal drei Stücke von älteren Alben zu nennen. Auf „Alles muss repariert werden“ sind es vor allem „Für wenige“, das Drogenlied „Alter Wegbegleiter“ und „Rannte der Sonne hinterher“, eine Liebeserklärung an den 2023 verstorbenen Egotronic-Sänger Torsun Burkhardt mit schön antiken Neun­zigerjahre-Breakbeats. In diesen Momenten entsteht etwas, das über „Ihr seid dumm dumm dumm“ weit hinausgeht.

Antilopen Gang: „Alles muss repariert werden“ ­(Antilopen ­Geldwäsche/Sony Music)

Live: 14. 9. Potsdam, Waschhaus