„Man braucht eine Vision“

Maßnahmen für eine klimafreundliche Verkehrswende sind oft umkämpft. Expertin Lisanne Pucher erklärt, wie Kommunen Akzeptanz schaffen können, wenn sie ihre Bür­ge­r:in­nen an der Planung beteiligen

Mehr Platz zum Flanieren, wie hier in Berlin-Schöneberg, kann die Lebensqualität verbessern. Trotzdem gibt es oft Widerstände Foto: Paul Langrock

Interview Nanja Boenisch

taz: Eine klimafreundliche Verkehrswende würde für mehr Platz für Menschen, bessere Luft und weniger Lärm sorgen. Das klingt doch gut. Warum sind politische Maßnahmen für eine Verkehrswende trotzdem so umkämpft?

Lisanne Pucher: Mobilität ist ein individuelles Thema. Viele Menschen haben Sorge, dass sie in ihren Gewohnheiten eingeschränkt werden, wenn das private Auto in Zukunft eine andere Rolle spielen soll. Tatsächlich sind aktuell viele Leute, die nicht in Innenstädten leben, abhängig vom Auto, weil es für sie keine passenden Alternativangebote gibt.

taz: Wie können die Widerstände abgeschwächt werden?

Pucher: Der große Hebel ist die Kommunikation. Menschen haben Angst vor Einschränkungen – das Ziel von progressiver Mobilitätsplanung ist aber eigentlich das Gegenteil, nämlich die Wahlfreiheit. Bür­ge­r:in­nen sollen im Verkehr immer die beste Möglichkeit für sich, für die Umwelt, die Stadt und die Mitmenschen finden können. Wer eine politische Maßnahme ergreift, muss den Gewinn dieser Maßnahme kommunizieren: Weniger Parkplätze bedeuten etwa auch mehr Sicherheit. Alte Menschen und Kinder können sich freier auf den Straßen bewegen. Ein zweiter Hebel ist: ausprobieren und Veränderung erlebbar machen. Einige Städte testen beispielsweise sogenannte Superblocks: Der Durchfahrtsverkehr wird eine Zeit lang aus einem Wohnblock rausgehalten. Weniger Autos fahren auf der Suche nach Parkplätzen im Quartier herum. Parkraum kann umgestaltet werden, vielleicht mit einer Bank und Begrünung, die im Sommer Schatten spenden kann. Diese Testphase macht deutlich, was möglich ist, und zusammen mit Anwohnenden und Einzelhandel kann das Konzept verbessert werden.

taz: Welche Kommunikationswege gibt es, um Bür­ge­r:in­nen über ein Verkehrsprojekt zu informieren?

Pucher: Viele! Welcher der passende ist, hängt von der Größe und Art des Projektes ab. Oft ist es am besten, den Menschen direkt vor Ort zu begegnen. Bei lokalen Vorhaben helfen Flyer und Postwurfsendungen. Je nach Zielgruppe braucht es Social-Media-Kanäle, lokale Zeitungen oder Radio. Wichtig ist aber auch, wie kommuniziert wird: Stadtplanung ist ein komplexes Thema. Fachbegriffe müssen übersetzt und Zusammenhänge erklärt werden, damit die Menschen verstehen können, was die Pläne für ihren Alltag bedeuten.

taz: Wen beziehen Kommunen dann in ihre Planungen ein?

Pucher: Auch das muss abgewogen werden. Klassische Akteure sind Handwerksvereine, der lokale Einzelhandel, Umweltverbände, Initiativen aus der Zivilgesellschaft. Viele Bür­ge­r:in­nen sind schon gut organisiert. Wenn Kommunen nicht gezielt Akteure ansprechen, laufen sie Gefahr, eine recht homogene Bevölkerungsgruppe zu erreichen: die, die eh schon Interesse an dem Thema und Zeit hat, sich einzubringen. Wenn Kommunen beispielsweise Kinder und Jugendliche erreichen wollen, müssen sie an die Orte gehen, an denen sich die jungen Leute aufhalten, und dafür altersgerechte Beteiligungsformate entwickeln. Schulen, Sportvereine oder Straßenfeste vor Ort können gute Möglichkeiten sein.

taz: Wie gut klappt das?

Pucher: Es gibt noch ein Ungleichgewicht. Um verschiedene Leute einzubinden, ist es wichtig, verschiedene Beteiligungsformate abzuwechseln. Städte landen oft bei Vorabendveranstaltungen, zu denen die Bür­ge­r:in­nen nach der Arbeit kommen können. Da fallen aber Leute durchs Raster: Menschen mit kleinen Kindern, Personen, die Schichtarbeit machen. Es gibt nicht die eine Zeit, zu der die Beteiligung perfekt ist.

taz: Wie relevant sind digitale Formate?

Foto: DialogWerke

Lisanne Pucher berät als Gründerin der Dialog-Werke Städte, Landkreise und Ministerien zu Beteiligungsprozessen bei der Verkehrswende.

Pucher: Mit Onlineangeboten kann man die Menschen erreichen, die sich im Alltag keine zwei Stunden Zeit für eine Veranstaltung nehmen können. Digital sind sie flexibler, man kann vielleicht schnell auf dem Weg zur Arbeit teilnehmen. Es gibt dank automatisierter Übersetzungen weniger Sprachbarrieren. Allerdings haben nicht alle Menschen den gleichen Zugang zur Technologie, also ist auch das nicht barrierefrei. Es braucht immer eine Kombination.

taz: Wie kann so eine Beteiligung konkret aussehen?

Pucher: Auch hier – je nach Projekt unterschiedlich. Online eignet sich am Anfang zum Beispiel eine kartenbasierte Umfrage, auf der Bür­ge­r:in­nen Problemstellen markieren können. Wenn schon Maßnahmen entwickelt wurden, können die Bür­ge­r:in­nen sie priorisieren, indem sie ein fiktives Budget spielerisch verteilen und festlegen, welcher Maßnahme sie viel Geld zugestehen würden. Bei Workshops arbeiten wir gerne mit Perspektivwechseln: Nachdem Teilnehmer:in­nen eine Fragestellung aus ihrer persönlichen Sicht bewertet haben, suchen sie Lösungen aus Sicht einer anderen, fiktiven Person.

taz: Sie haben die Superblocks angesprochen. In einigen Städten ist der Widerstand so groß geworden, dass den Pilotprojekten das Aus droht. Wie lässt sich das verhindern?

„Wichtig ist auch, wie kommuniziert wird: Stadtplanung ist ein komplexes Thema“

Lisanne Pucher, DialogWerke

Pucher: Man braucht eine gemeinsame Vision, die gut kommuniziert wird und deutlich macht, auf welches Ziel einzelne Maßnahmen einzahlen. Außerdem sollte man die Diskussion früh aus der „Mobilitätsblase“ holen und sich ernsthaft mit den Wünschen derjenigen auseinandersetzen, die dem Projekt kritisch gegenüberstehen. Ein gemeinsamer Kompromiss ist oft ein sinnvollerer erster Schritt als eine Maximallösung, die in einer Klage endet.

taz: Mal beteiligen sich Initiativen aus der Zivilgesellschaft heraus an der Verkehrsplanung, mal binden Kommunen ihre Bür­ge­r:in­nen von oben nach unten ein. Wann ist die Akzeptanz für Verkehrswende am größten?

Pucher: Oft ist eine Kombination am erfolgreichsten. Bewegungen aus der Zivilgesellschaft können Projekte ins Rollen bringen. Spätestens nach dem Anstoß durch Ak­ti­vis­t:in­nen sollten aber die Kommunen auf Bür­ge­r:in­nen und Akteure zugehen. Wenn sie das nicht machen, scheitert ein Projekt später oft am Widerstand derjenigen, die sich von der Veränderung überrollt und im Entscheidungsprozess nicht berücksichtigt fühlen.