Regierungsbildung in Frankreich: Macron lässt sie zappeln

Wer soll oder kann Frankreich regieren? Präsident Macron hofft, die Parteien so zu zermürben, bis sie einer Koalition für seine Politik zustimmen.

Emmanuel Macron, der Demokratieverweigerer Foto: Darko Vojinovic/AP

PARIS taz | So manche Insider und Experten der französischen Politik glaubten in den vergangenen Tagen zu wissen, die Nominierung eines Premierministers oder einer Premierministerin stehe kurz bevor, Präsident Emmanuel Macron habe sich (endlich) entschieden. Das war nicht der Fall. Jedes Mal wartete man in Frankreich vergeblich. Der Staatschef lässt seine Landsleute, die langsam ungeduldig werden, zappeln.

„Im geeigneten Rahmen“

Bald ist es 50 Tage her, dass das Ministerkabinett von Premier Gabriel Attal im Zuge der Wahlniederlage der Macronisten den Rücktritt eingereicht hat und im Auftrag des Staatspräsidenten seither die „laufenden Geschäfte“ führt.

Zuletzt war spekuliert worden, Macron werde vor seinem Abflug nach Belgrad am Donnerstag die derart erwartete Ankündigung machen. Bei einer Medienkonferenz in Serbien, wo Macron angeblich ein paar Rafale-Kampfjets an die prorussische Staatsführung verkaufen soll, bat er indes weiter um Geduld: Er werde „zum (von ihm) gewünschten Zeitpunkt und im geeigneten Rahmen“ zur Nation sprechen, um zu enthüllen, was er zur Regierungsbildung beschlossen habe.

Er bat dabei um Nachsicht wegen der Schwierigkeit des Unterfangens: „Auch wenn dies nicht unbedingt sichtbar ist, beschäftige ich mich Tag und Nacht, und das seit Wochen, damit, die beste Lösung für das Land zu finden.“

Geduldsprobe für Frankreich

Der Druck auf ihn wächst, langsam empfinden immer mehr Französinnen und Franzosen die Tatsache, dass Frankreich immer noch keine Regierung hat, als unerträgliche Geduldsprobe. Laut einer Umfrage für die Tageszeitung Le Figaro glauben sieben von zehn Befragten nicht mehr daran, dass Macron eine Lösung findet, die ihren Erwartungen entspricht. Diese sind natürlich je nach Interessen und politischen Standpunkten sehr unterschiedlich.

An mehr oder weniger plausiblen Vorschlägen oder Kandidaturen mangelt es aber nicht. Viele Namen zirkulieren bereits seit Wochen aus der Gerüchteküche: Besonders der Name des Ex-Sozialisten Bernard Cazeneuve, ehemaliger Innen- und danach Premierminister unter Präsident François Hollande, wird genannt. Der Betreffende hat dazu lediglich mitgeteilt, er sei von Macron nicht kontaktiert oder eingeladen worden.

Auch der konservative Vorsitzende der Region Nord Xavier Bertrand war im Gespräch. Andere wie namentlich die einstige sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, die am Donnerstag sich „disponibel“ für das Amt bezeichnet hat, bieten sich selber als Lösung an.

Französische Linke düpiert

Seit einer Woche hatte Macron erneut Delegationen der Parteien und diverse Ratgeber zu „Konsultationen“ empfangen. Fast von Beginn weg hat er gesagt, dass er die von der Neuen Volksfront (NFP) vorgeschlagene Lucie Castets und damit eine Regierung der linken Wahlunion ablehnt. Das hat die gesamte Linke, die nach ihrem Erfolg bei den Parlamentswahlen den Auftrag zur Regierungsbildung für sich beansprucht, frustriert und empört.

In mehr oder weniger heftigen Tönen protestieren die Linksparteien der NFP gegen eine „Demokratieverweigerung“ eines Präsidenten, der sich mehr Macht aneigne, als dies die Verfassung und die Tradition der Republik vorsehe. Am 7. September sind Kundgebungen gegen Macron geplant. Die Linkspartei La France insoumise (LFI) von Jean-Luc Mélenchon droht ihm gar mit einem Absetzungsverfahren, das theoretisch existiert, in der Praxis indes null Chancen hätte.

Macron müsste Premier ernennen

Dieser gibt sich gelassen, keinem seiner Besucher im Elysée-Palast hat er verraten, was er genau plant. Er ließ vielmehr die Po­li­ti­ke­r*in­nen von links und rechts wie zu einem Examen vortraben und stellte Fragen zu ihren Absichten und ihrer Bereitschaft zu eventuell möglichen Kompromissen. In Wirklichkeit versucht Macron nicht, eine geeignete Person für die Bildung einer Regierung zu finden, er ist bestrebt, das Terrain für eine regierungsfähige Mehrheit zu ebnen. Das ist eigentlich nicht seine Aufgabe.

Gemäß Verfassung ernennt er – aufgrund der politischen Kräfteverhältnisse im Parlament – einen Premierminister, dem es dann obliegt, eine Regierung zusammenzusetzen, die mehrheitsfähig ist und beispielsweise in der Lage ist, eine Vertrauensabstimmung zu gewinnen oder einen Staatshaushaltsentwurf in den beiden Kammern (Nationalversammlung und Senat) durchzusetzen. Macron interpretiert dies als sein Pflicht, prioritär für eine institutionelle Stabilität besorgt zu sein.

Spiel auf Zeit

Keiner der drei politischen Blöcke in der Nationalversammlung (NFP, Macronisten, extreme Rechte) will oder kann eine solche von Macron gewünschte breite Koalition bilden, die mit einer regierungsfähigen Mehrheit rechnen kann.

Macron setzt darum die Zeit als Waffe ein, um die Parteien zum Einlenken zu bewegen. Er hofft, dass sich die internen Spannungen und Differenzen innerhalb der NFP, aber auch bei den Konservativen (La Droite républicaine), die bisher nicht zu einer institutionalisierten Kooperation Hand bieten, verschärfen.

Die Schwächung der von ihm ungeliebten politischen Parteien war schon sein Programm, als er 2016 mit „En marche“ und seiner Devise „in der Mitte und Links und rechts zugleich“ die politische Arena betrat.

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