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Fast wie im Freizeitzirkel

Seit April läuft im Spreepark Art Space das Residenzprogramm. In der aktuellen Ausstellung zeigt das Gray Voice Ensemble „A Wonderful World“, während am Spreepark selbst weiter gebaut wird

Von Tom Mustroph

Während der Spreepark baulich umgerüstet wird, um später einmal ein klimagerechtes Paradies zu werden, beschäftigen sich Künst­le­r*in­nen­grup­pen mit den teils bizarren, teils anmutigen Hinterlassenschaften des einstigen Vergnügungsparks. Im April startete das jeweils drei Monate Aufenthalt umfassende Residenzprogramm im frisch renovierten Eierhäuschen. Die Ausstellung „A Wonderful World“ dokumentiert jetzt die musikalisch-szenischen Interventionen des Gray Voice Ensembles und der Ku­ra­to­r*in­nen Sol Calero und Christopher Kline vom Projektraum Kinderhook & Caracas.

In Videoinstallationen sieht man Kinder und Erwachsene durchs verwunschene Areal ziehen. Sie werden begleitet von geisterhaft weiß gekleideten Gestalten. In Formationen gruppiert geben sie gesprochene und gesungene Texte mal chorisch, mal solistisch von sich. Gelegentlich durchströmt auch eine choreografische Wellenbewegung die menschliche Aufstellung. Das, was man jetzt visuell von den Workshops mitbekommt, die das engagierte Amateurchorprojekt Gray Voice Ensemble zusammen mit der Anonymous Writing Group und dem Projektraum Kinderhook & Caracas auf dem Gelände organisiert hat, erinnert verblüffend an die Freizeitzirkel in der ehemaligen DDR. Auch da wurde Wert auf musische Beschäftigung gelegt. Wer dabei war, war meist begeistert. Wer dann die Ergebnisse sah, klatschte freundlich, denn es handelte sich ja um Verwandte und Freunde – und mit denen wollte man gern weiter verwandt und befreundet bleiben.

Hoffentlich bleibt der Fokus auf öffentlicher Beteiligung erhalten und die Qualität der Kunst zugleich erhöht

Die große Attraktion des neu geschaffenen Spree Park Art Space bleibt ohnehin das Gelände, auch wenn dieses momentan sein Markenzeichen verloren hat. Das Riesenrad ist abmontiert. Am polnischen Standort der niederländischen Firma Dutch Wheels, die das Rad schon für die DDR gebaut hatte, wird es gerade saniert. „Einzelteile müssen mit Ultraschall auf Haarrisse geprüft werden. Die Gondeln werden neu gemacht – allerdings im ursprünglichen Design des allerersten Riesenrads im Park aus dem Jahr 1969. 2025 wird dann alles wieder aufgebaut“, berichtet Katja Aßmann, Künstlerische Leiterin des Spreeparks, der taz. Für 2026 ist die Eröffnung geplant.

Statt des Riesenrads gibt es momentan metallische große Raupen zu entdecken, die den Boden im Spreepark aufwühlen. Es handelt sich dabei nicht um illegitimen Nachwuchs der Saurier oder anderen Schreckgetiers aus der Geisterbahn des einstigen Vergnügungsparks. Die Raupen sind echte Bagger, und sie legen die Leitungen für Wasser, Abwasser und Strom auf dem Gelände: „Wir haben eine riesengroße Zisterne für das Regenwasser eingebaut, weil der Park nachhaltig bewässert werden soll. Er wird auch mit alternativen Energien betrieben werden, mit einem großen Solarkraftwerk. Die Leitungen, die man dafür braucht, werden jetzt unterirdisch verlegt“, sagt Aßmann. Ein Wasserbecken, das auch als Rückhaltebecken für Regenwasser dient, kommt unter das Riesenrad. Ökologisch Sinnvolles entfaltet in diesem Falle ästhetische Kraft, denn das Wasserbecken wirkt wie ein großer Spiegel für die rotierende Metallscheibe.

Dass das Riesenrad im aktuellen Sanierungskonzept des Spreeparks überhaupt vorkommt, ist Resultat zahlreicher Beteiligungsrunden. Viele Ber­li­ne­r*in­nen machten sich stark dafür, und jetzt ist es als einziges dauerhaft betriebenes Fahrgeschäft im Konzept des neuen Spreeparks festgeschrieben. Ein eher besseres Beispiel für vielfach nur als Ornament kritisierte Beteiligungsprozesse. Auch das künstlerische Programm, das über die Residenzen im Eierhäuschen den Umbau begleitet, setzt stark auf Beteiligung.

Stärker ins Bewusstsein

Im Rahmen der Workshops konnte man aufs Gelände, ins offene Maul des Eingangs zur Geisterbahn blicken oder die filigrane Dachkonstruktion der legendären MERO-Halle bewundern. Das Areal gelangt so stärker ins kollektive Bewusstsein und ist nicht mehr nur lost space, in den man heimlich eindringt und dabei auch zur weiteren Verwüstung beiträgt. Dieser Aspekt wird in der Ausstellung ebenfalls aufgenommen. In die Installationen sind neben hübschen Objekten aus dem Park auch Müll und liegen gelassene Gehhilfen integriert. Projektabschluss ist eine Performance mit weißen Gespenstergestalten, Musik, Gesang und Wellenchoreografie, die noch am 15. September und 20. Oktober im alten Ballsaal des Eierhäuschens gezeigt wird. Die Ausschreibung für die insgesamt 16 Stipendien 2025 ist abgeschlossen. Bleibt zu hoffen, dass der Fokus auf den Beteiligungsqualitäten erhalten bleibt, bei den öffentlichen Präsentationen die künstlerische Qualität aber zunimmt.

„A Wonderful World“: Spreepark Art Space in Treptow. Bis 20. Oktober. Performances am 15. September und 20. Oktober

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